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Dem Vergessen entreißen
Jürgen Fuchs wäre am Sonntag 60 geworden. Aus diesem Anlass erscheint jetzt ein kluges Hörbuch, das von Weggefährten präsentiert wird
Jürgen Fuchs, ein aufrechter, in der DDR aufgewachsener Schriftsteller und Sozialpsychologe, ein unerschrockene Arbeiter-und-Bauernstaat-Kritiker und Oppositioneller, Jürgen Fuchs starb 1999, erst 48 Jahre alt, an Blutkrebs – die Gerüchte, dass seine Krankheit Folge einer absichtlichen Verstrahlung durch die Stasi war, sind bis heute nicht verstummt.
Am Sonntag (19. Dezember) wäre Fuchs 60 Jahre alt geworden. Anlass genug, diesen ungewöhnlichen Zeitgenossen und Sprachkünstler der Vergessenheit zu entreißen. Gerade erschien ein Hörbuch, das mit einer mitreißendenWürdigung der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller beginnt. Ihr Text ist zittrig zartfühlende Prosa und neugierig machende Werkanalyse zugleich: Auf der Bahnreise zum Grenzregiment, die Fuchs in seinem Roman über die Nationale Volksarmee „Fassonschnitt“ verarbeitet, beobachtet der junge Rekrut im Gesicht eines Offiziers den „Blick der kleinen Bahnstationen“ – genauso würde Müller auch die „dokumentarische Poesie“ des Jürgen Fuchs definieren. Davon kann sich der Hörer bald selbst überzeugen, wenn er die Originalaufnahmen mit dem lakonischen Chronisten hört, etwa als er einige Passagen aus dem titelgebenden Roman„Das Ende einer Feigheit“ liest. Gedichte, ein Interview und ein ohrenzerreißendes Lied von Wolf Biermann mit dem Titel „Jürgen Fuchs“ runden dieses CD-Projekt – eine Kooperation der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, des Deutschlandfunks und von Deutschlandradio Kultur – ab.
Doch was waren die gar nicht kleinen Lebensstationen dieses sanftmütigen Rebellen? Nachdem Fuchs 1976 die von bekannten Schriftstellern der DDR verfasste Protesterklärung gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterschrieben hat, wurde er im November desselben Jahres in der gefürchteten Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Hohenschönhausen inhaftiert. Während der Haft erschien im Westen sein Buch „Gedächtnisprotokolle“, darin setzte er sich anhand seiner Exmatrikulation mit der dogmatischen DDR-Gesellschaft auseinander. Neun Monate später, im Jahre 1977, wurde Jürgen Fuchs nachWest-Berlin abgeschoben. Dort engagierte er sich weiter gegen die Verräter der sozialistischen Idee – immer unter zersetzender Beobachtung des MfS. Nachdem Fall der Mauer bemühte er sich bis zu seinem vermutlich „menschengemachten“ Tod um die Aufklärung der Verbrechen der Staatssicherheit. Nun wird dieser mutige Mensch, werden sein Leben und sein Werk, gewürdigt. Zu der Veranstaltung werden seine Witwe Lilo Fuchs, Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, Liedermacher Wolf Biermann und Schriftsteller Ralph Giordano erwartet.
In Berliner Zeitung vom 16.10.2010