Foto (c) Gabriele Summen
Noch einmal würde ich es nicht packen!
Gustaf Sparr hat sein Geld in der Musikbranche verdient. Nach seiner Kündigung stieg er auf Grundschullehrer um. Das Referendariat beschreibt er als Überforderung.
Herr Sparr, Sie haben die meiste Zeit Ihres beruflichen Lebens in der Musikbranche gearbeitet. Was genau haben Sie gemacht?
Nach diversen Praktika und Kurzzeitstellen bei Plattenlabels habe ich bei einem Online-Verkaufsportal für elektronische Musik gearbeitet. Das war ein Laden mit Hauptsitz in Denver und einer letztlich furchtbaren, typisch amerikanischen Unternehmenskultur. Das klassische Ding: Zu Beginn des Jahres wird eine Zielvorgabe für den Wachstum gestellt und die wird dann gnadenlos durch die Hierarchie nach unten gedrückt. Nach sechs Jahren wurde ich zu einem spontanen Skype-Meeting mit meinem Vorgesetzten in Denver beordert und fristlos entlassen. Das Gespräch dauerte vielleicht vier Minuten.
Das war der Anlass für Sie, komplett umzusatteln?
Nicht direkt. Durch eine Abfindungszahlung konnte ich mir ein paar Coaching-Sessions leisten. Irgendwann wurde mir klar, dass ich einen Job wollte, der mir mehr Freude bereitet und sinnstiftend ist. Ich hatte Lust junge Menschen auf ihrem Lebensweg zu begleiten, eine echte Beziehung zu Menschen aufzubauen – nicht mehr diesen halbseidenen Geschäftsbeziehungen! Und heute weiß ich: Das kannst Du vergessen, gegen das, was ich hier machen kann!
Und wie geht dann so ein Quereinstieg konkret vonstatten?
Der Berliner Senat gibt regelmäßig eine Mangelfachliste heraus, und als dann irgendwann Englisch für die Grundschule darauf stand, habe ich mich getraut – und mich einfach beworben. Auf dieses Prozedere folgt normalerweise eine Veranstaltung, die inoffiziell »Casting« genannt wird. Da kom-men dann die ganzen Bewerber und stellen sich drei Minuten vor. Das Publikum besteht aus suchenden Rektoren. Ich habe diesen »Viehmarkt« aber umgangen und mich direkt bei den Schulen beworben.
Und nach diesem Prozedere?
Dann macht man 18 Monate ein berufsbegleitendes Referendariat und gibt maximal 19 Stunden Unterricht in der Woche. Im Idealfall sitzt da immer noch ein Lehrerkollege mit im Klassenzimmer. In Wirklichkeit steht man dann da aber letztlich oft allein vor den Schülern. Denn die Lehrer sind auch ohne Referendare schon überlastet.
Welche Erfahrungen haben Sie während des Referendariats gemacht?
Überforderung! Ein Aspekt der Überforderung ist diese ständige Kontrolle. Im Laufe dieser anderthalb Jahre gibt es mindestens 15 Unterrichtsbesuche. Das schlaucht natürlich ungemein: Die nervliche Anspannung und die überbordende Vorbereitungszeit, vor allem wenn man selbst noch zwei kleine Kinder hat.
Warum sind diese Unterrichtsbesuche so schlimm?
Ich wurde wahnsinnig darauf gepolt, überbordende Selbstkritik an mir zu üben. Schwierig ist aber, dass ich dadurch im Lauf der Monate die Fähigkeit verloren habe, auf dem Boden zu bleiben. Ich wurde einfach überkritisch und verlor mich bei der Vorbereitung dieser »Showstunden« immer mehr in Details. So konnte ich kaum mehr einschätzen, ob die Kids eine Idee dann auch wirklich annehmen. Hier und da auch mal ein bisschen Lob würde helfen. Natürlich habe ich aber als absoluter Anfänger auch jede Menge Fehler gemacht.
Was sind denn typische Anfängerfehler?
Zu Beginn war ich zunächst zu sehr darauf bedacht, den geplanten Stoff in einer Stunde auch durchzuziehen. Du musst aber gerade in jüngeren Stufen erst einmal einen Rahmen schaffen, und die Regeln müssen feststehen. Ich kann mich auch noch gut an meine allererste Stunde erinnern. Niemand war mit mir drin, ich hatte mir ein paar Sachen zurechtgelegt, Kreis bilden, kennenlernen, und dann klappte das gleich mit dem Kreis bilden nicht, es war viel zu eng in der Klasse! Ich habe dann gerufen: Jetzt aber Ruhe – und die meisten haben das gar nicht mitbekommen. Dann war alles einfach nur noch chaotisch. Aber gleich die nächste Stunde, in der Parallelklasse, klappte mit meinem frisch erworbenen Vorwissen schon ein bisschen besser.
Würden Sie rückblickend noch einmal einen Quereinstieg wagen?
Ein klarer Vorteil ist die Chance, die einem da gegeben wird, relativ einfach – auch finanziell einigermaßen machbar – umzuschwenken. Nachteilig ist natürlich, dass es so schnell geht, das ist einfach ein Beruf, bei dem Du wesentlich mehr Zeit brauchst, um über das »learning by doing« anzukommen. Und dann eben auch die hohe Frequenz der Unterrichtsbesuche, die meisten geraten einfach in so eine Art Psychotunnel auf dem Weg zur Abschlussprüfung. Ich kann mich noch gut daran erinnern, nach einem Monat fing der ein oder andere bei den Blitzlichtrunden in den Seminaren schon an zu weinen.
Aber Sie haben sich dann letztlich doch bis zum Ende durchgebissen.
Ja, meine Abschlussprüfungsstunde lief dann auch ganz gut. In Englisch habe ich meine Schüler einen Wetterbericht sprechen lassen. Ich habe aus einem Pappkarton einen Fernseher gebastelt und einen Schlips mitgebracht, die dritte Requisite war eine Fernbedienung. Bevor dann jemand angefangen hat mit seinem Wetterbericht, sollte der Schüler in der ersten Reihe den Fernseher erst einmal anmachen. Das kam ganz gut an.
Und wie gestaltet sich heute Ihr Schulalltag?
Ich habe eine 20-Stunden-Stelle und unterrichte in verschiedenen Klassen, die im Schnitt eine Größe von 27 Schülern haben. Immer jeden Einzelnen im Blick zu haben, während man unterrichtet, ist sowohl sehr fordernd, als auch eine tolle Erfahrung. Generell gibt es aber einfach viel zu wenige Lehrer an den Schulen – das geht natürlich auf die Qualität des Unterrichts. So habe ich zum Beispiel eigentlich keine Zeit, mich um Kinder mit besonderem Bedarf zu kümmern. Eigentlich sollte man deshalb immer zu zweit sein, aber die Leute werden meistens anderweitig abgezogen. Ich war deshalb neulich auch streiken, aber da ich bislang noch den monatlichen Beitrag für die Gewerkschaft gescheut habe – das ist gar nicht mal so wenig – kostet mich das einen Tag Gehalt. Wenn jetzt demnächst noch einmal gestreikt wird, werde ich deshalb nicht mitgehen.
Aber Sie gehen trotzdem noch gerne zu Schule?
Es ist einfach schön, wenn die Schüler sich freuen dich zu sehen und deine Nähe suchen. Diese Erfahrung ist bewegend, dass es da eben mehr gibt als dieses Lehrer- Schüler-Verhältnis – in der Grundschule spielt das erzieherische Moment noch eine große Rolle. Wichtig ist, dass man auch eine gewisse Autorität ausstrahlt. Und wenn dann eine Stunde gut klappt, freut man sich besonders.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit schwierigen oder lernunwilligen Schülern?
Ich hatte mal einen Schüler, der robbte die ganze Zeit auf dem Rücken durch die Klasse. Also habe ich ihn wiederholt ermahnt, dann habe ich ihm angeboten, sich mit seinem Buch in die Leseecke zu setzen. Hat alles nicht wirklich funktioniert. Es gibt eben keine Pauschallösung für schwierige Schüler, und häufig geht das auch nicht von heute auf morgen. Mittlerweile weiß ich, manchmal ist es tatsächlich besser, du beachtest den Problemschüler zunächst einfach nicht und versuchst deinen Unterricht so inspirierend zu machen, dass die anderen sich nicht ablenken lassen. Möglicherweise denkt der dann irgendwann: Vielleicht interessiert mich das, was die da machen, ja auch? Das ist der Idealfall.
Und dann gibt es ja auch noch die Eltern.
Klar. An meiner Schule, im recht wohlhabenden Bezirk Berlin-Mitte, gibt es naturgemäß mehr überbordendes Feedback von den Eltern als an den sogenannten Brennpunkt-Schulen. Schade finde ich, dass manche Eltern sich bei Problemen nicht an den jeweiligen Lehrer wenden, sondern direkt bei der Schulleitung beschweren. Meine Elterngespräche fand ich bislang aber durchweg positiv, da bringe ich aus meinem alten Beruf Qualifikationen mit. So ein Gespräch läuft ähnlich wie bei einem Meeting mit Klienten, auch die kamen natürlich mit zum Teil ungerechtfertigten Forderungen an, die teilweise nicht ganz sachlich und eher emotional vorgetragen wurden. Als Lehrer wünscht man sich natürlich, dass die Eltern sich kümmern, aber eben auch, dass sie die Realität sehen! Es ist eben auch nur ein Mensch, das eigene Kind.
Interview Gustaf Sparr in nd von März 2019