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Wenn die Seele verloren geht
Als hätte jemand “Der Pate” und “Spiel mir das Lied vom Tod” noch einmal unter Einwirkung von Meskalin inszeniert: Im atemberaubend erzählten Drogen-Drama “Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu” wird der Zuschauer Zeuge, wie der Geist des Kapitalismus einen ganzen Stamm auszulöschen vermag.
“Wir haben die Seele verloren, uns beschützt nichts mehr”, konstatiert die ehemalige Matriarchin eines kolumbianischen Stammes gegen Ende von Ciro Guerras und Cristine Gallegos ungewöhnlichem und packendem ethnografischen Drama “Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu”. Der durch reale Ereignisse inspirierte mystische Drogenthriller, der in diesem Jahr für Kolumbien den Oscar holen sollte, spielt ebenso wie Guerras berauschender, oscarnominierter Schwarz-Weiß-Film “Der Schamane und die Schlange” (2016) im indigenen Südamerika. In ihrem neusten Film zeigen Guerras und seine Frau die Anfänge der Drogenkartelle in Kolumbien und die mit ihnen einhergehenden kapitalistischen Mechanismen, die dem Volksstamm der Wayuu in den Jahren zwischen 1968 und 1980 den Garaus gemacht haben – dies alles aus der Sicht der indigenen Gemeinschaft im Nordosten des Landes.
Das in fünf Kapitel beziehungsweise “Gesänge” unterteilte Epos beginnt wie ein ethnologisches Porträt des Stammes der Wayuu. Mitten in der Einöde einer Wüstenlandschaft feiert die junge Zaida (Natalia Reyes) nach einem Jahr der inneren Einkehr ihre Rückkehr in die Gemeinschaft. Sie ist nun zur Frau geworden und fordert mit dem kraftvollen Yonna-Tanz die Burschen ihres Stammes als mögliche Heiratskandidaten heraus. Auch Rapayet (José Acosta), ein ferner Verwandter, umwirbt sie tanzend. Doch Zaidas resolute Mutter Úrsula (Carmina Martínez), eine in ihrem Clan hoch angesehene Matriarchin und Traumdeuterin, hat kein gutes Gefühl bei Rapayet. Überdies ist er der Schamanin nicht standesgemäß genug – und so setzt sie, wie in einem Märchen, ein viel zu hohes Brautgeld für ihn fest.
Doch der Zufall spielt dem ambitionierten Rapayet, der bereits Geschäfte mit den “Alijunas” – den Nicht-Wayuus – macht, in die Hände. Er verkauft mithilfe seines unberechenbaren Freundes Moisés (Jhon Narváez) einer Gruppe amerikanischer Hippies 50 Kilogramm Marihuana, die er günstig bei seinem Cousin Aníbal (Juan Martínez) erwerben konnte. Da er nun seine Mitgift zusammen hat, muss Úrsula ihm ihre Tochter zur Frau geben, denkt er.
Und ewig lockt das Geld
Doch die Verlockungen des Geldes haben den ehrgeizigen Rapayet bereits in ihren Krallen, und so beginnt sein unheilvoller Aufstieg zu einem Drogenboss, in dessen Verlauf sein Stamm und seine Familie immer mehr den Bezug zu ihren alten Bräuchen verlieren. Kameramann David Gallego fängt diese Geschichte in bisweilen an einen Western erinnernden Cinemascope-Bildern ein, Leonardo Heiblum unterstreicht die surreale Szenerie noch mit seinem starken Wüstendrone-Soundtrack. Ein völlig deplatziert wirkender Luxusbunker, den Rapayet mitten in der Wüste für sich und seine Familie baut, wird zur starken Metapher für seinen traurigen, materiellen Aufstieg; die Wandlung des jüngsten Sprosses der Familie Leonídas (Greider Meza), der glaubt sich mit Geld alles erkaufen zu können, abstoßend allegorisch für die Fratze des Kapitalismus.
Guerra und Gallego erzählen ihre von der Plotstruktur an typische Mafia-Filme erinnernde Geschichte hauptsächlich mithilfe von Laiendarstellern. Das verleiht dem Film eine atemberaubende Authentizität. Zudem vermeiden sie es, die von Macht und Gier angetriebenen Drogenbosse auf unterschwellige Art zu verherrlichen, und zeigen zumeist lediglich die Folgen von unvermeidlichen Gewaltexzessen, was dem 125 Minuten langen Film bis zur letzten Minute ungeheure Spannung verleiht.
In der Erzähltradition des magischen Realismus, dessen berühmtester Vertreter der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez war, ist “Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu” ein einzigartiges Kinofest, das zeigt, wie Gier, Machtstreben und der damit einhergehende Wahnsinn allmählich eine Familie zerrütten und eine Gemeinschaft vollkommen destabilisieren können.