(c) 2016 Warner Bros. Entertainment Inc. / Claire Folger
Gangsterepos light
Das Highlight des Gangster-Epos „Live By Night“ von und mit Ben Affleck sind die drei Frauen im Leben des romantischen Outlaws Joe Coughlin – allen voran Elle Fanning als Tochter eines Polizeichefs. Ihr gelingt es in den gemeinsamen Szenen mit Affleck, der widersprüchlichen Figur des vom Ersten Weltkrieg gebrochenen Ex-Soldaten Joe ein wenig Leben einzuhauchen.
Auch in den Szenen mit Joes ersten großen Liebe Emma Gould, die herausragend von Sienna Miller verkörpert wird, bekommt der Zuschauer eine leise Ahnung davon, was für ein vielschichtiges Gangsterepos der „Argo“-Regisseur und „Batman“-Darsteller eigentlich erzählen wollte. Auch die dritte Frau im Bunde, Zoe Saldana als seine kubanische Geliebte und spätere Ehefrau, schafft es, den ansonsten viel zu zurückgenommen gezeichneten Charakter ein gewisses Maß an Tiefe zu verleihen. Nur leider wird den drei Damen im mehr als zweistündigen Film zu wenig Leinwandzeit zugestanden.
Ein großes Problem ist zudem, dass Affleck, der auch das Skript verfasste (nach einem Buch von Dennis Lehane, „Shutter Island“), einfach zu viel erzählen will: „Ich habe mich zum Kriegseinsatz gemeldet. Ich ging als Soldat und kehrte zurück als Gesetzloser.“ – Das teilt Joe dem Zuschauer im Voiceover zu Beginn des Films mit. Und gleich geht es Schlag auf Schlag: Es ist die großartig in Szene gesetzte Zeit der Prohibition und verwickelter Bandenkriege in Boston, aus denen sich Joe rauszuhalten versucht. Mit kleinen Überfällen hält er sich über Wasser.
Doch Joe verliebt sich in Emma Gould (Sienna Miller), die Mätresse des Gangsterbosses Albert White. Sie beschließen, gemeinsam zu fliehen. Ein letzter Bankraub soll ihnen den Neustart ermöglichen. Doch alles geht schief, und nach einer wilden Verfolgungsjagd mit der Polizei, bei der herrliche Oldtimer zu Schrott gefahren werden, sind drei Polizisten tot. White kommt hinzu, um seine persönliche Schmach zu rächen, erwischt allerdings nur Emma. Joe dagegen wandert für drei Jahre in den Knast.
Wieder raus, will er den Mord an seiner Geliebten vergelten und heuert bei Whites Widersacher an, dem italienischen Mafiaboss Pescatore (Remo Girone). Dieser schickt Joe nach Florida, wo er sein Rum-Imperium gegen den Erzfeind verteidigen soll. Vor Ort arrangiert er sich mit dem Sheriff (Chris Cooper) und lernt dessen reizende Tochter Loretta (Fanning) kennen, die es nach Hollywood zieht, sich aber zunächst als heroinabhängige Hure verdingt – was später noch einmal wichtig für die von merkwürdigen Wendungen und Subplots überladene Geschichte wird.
Inzwischen ist ungefähr ein Viertel des Films vergangen, nebenbei wurde auch noch wahnsinnig viel geredet und dem Zuschauer kaum Zeit gelassen, sich über die stylischen Outfits, die gute Kameraarbeit und die detailreichen Kulissen zu freuen. Vielmehr wird er erschlagen mit Geschehnissen und Informationen, dass Joes unaufhaltsamer Aufstieg zum Mafiaboss wider Willen an einem zunehmenden Desinteresse abprallt.
„Mach deine eigenen Regeln“, so lautet das Credo des kriegstraumatisierten Protagonisten, der verzweifelt versucht, seinen eigenen Moralkodex aufrechtzuerhalten und dennoch paradoxerweise immerzu Menschen ermordet. Auch der Regisseur wollte das Mafia-Genre offensichtlich noch einmal nach seinen eigenen Regeln durchspielen. Herausgekommen ist dabei allerdings nur der schwache Abglanz eines Gangsterepos wie „Der Pate“.
Radio Köln / Feb. 2017