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Foto: (c) Nicolai Mehring/DCM

Urlaub von der Leistungsgesellschaft

Gleich zu Beginn von Bernadette Knollers Langfilmdebüt „Ferien“ erteilt die Richterin der angehenden Staatsanwältin Vivian das Wort. Sie soll sich zum Ganzkörperspiegel-Diebstahl ihrer Mandantin äußern, doch die junge Karrierefrau bringt plötzlich keinen Ton mehr hervor. Vivian will einfach nicht mehr, sie kann nicht mehr, sie hat keine Lust mehr zu funktionieren. Der zunehmende Leistungsdruck in unserer Gesellschaft wird in letzter Zeit häufiger in deutschen Tragikomödien thematisiert. Wie schon in Laura Lackmanns kürzlich gestartetem „Mängelexemplar“ oder in dem frenetisch gefeierten „Toni Erdmann“ von Maren Ade wird die Leistungsgesellschaft auch in diesem Film radikal in Frage gestellt.

Nachdem Vivian (Britta Hammelstein) also den Gerichtssaal mit wehender Robe verlassen hat, flüchtet sie sich auf die mütterliche Couch. Sie kann sich nicht einmal mehr vorstellen, mit ihrem harmlos-netten Yuppie-Freund zusammenzuziehen. Ihr alter Herr, gespielt von Detlev Buck – der im wirklichen Leben der Vater der Regisseurin ist – glaubt, dass seine Tochter einfach mal ein bisschen ausspannen muss. Also fährt er gemeinsam mit ihr auf eine nicht näher benannte Nordseeinsel.

Doch eine wirkliche Stütze für seine sichtlich unter Burn-Out und Depressionen leidende Tochter – wobei dies klugerweise niemals ausgesprochen wird – ist er auch nicht. Genau wie Vivians Mutter, die nur mit dem oberflächlichen Tipp aufwartete, ein Kind zu bekommen, rät Papa ihr letztlich nur wieder zur weiteren Selbstoptimierung.

So drängt er sie beispielsweise dazu, eine Warze im Gesicht entfernen zu lassen, später einmal flippt der Marketingagentur-Mitarbeiter aus, weil sie auf sein billiges Coaching-Spiel nicht eingeht und seiner Meinung nach nur eine jämmerliche Vision für ihr Leben hat: Vivian wünscht sich lediglich „in Ruhe gelassen zu werden“! Ziemlich rasch merkt man, dass die Regisseurin Tochter ihres Vaters ist: Der recht trockene lakonische Humor und die entschleunigte norddeutsche Szenerie erinnern an die frühen Filme Detlev Bucks.

Auf der unspektakulären Insel lernt Vivian, die sich schon bald bei dem Zimmermädchen Biene (Inga Busch) einquartiert, eine ganze Menge skuriller Leute kennen – darunter den Besitzer eines Ladens, von dem man nicht so recht weiß, was er denn nun eigentlich verkauft. Sie lässt sich von dem heillos verpeilten Ladeninhaber anstellen. Der wird übrigens von Bestseller-Autor Ferdinand von Schirach erstaunlich herausragend gespielt, so dass er der ebenfalls überzeugend agierenden Britta Hammelstein in einigen Szenen sogar die Show stiehlt.

Ansonsten schwappt der Film hin und her – zwischen tot vom Himmel fallenden Tauben, kleinen Differenzen in der örtlichen Moosmännchen-Bastelgruppe, einem gestrandeten Wal und ein paar nett-schrägen Szenen mit dem Teenager-Sohn Eric (Jerome Hirthammer). Eric wünscht sich insgeheim nichts sehnlicher als ein normales Leben, stattdessen lässt seine alleinerziehende Mutter ihn überraschend für einige Zeit mit der verrückten Vivian allein – und das, obwohl er sie nachts dabei beobachtet hat, wie sie wie eine Furie ein Blumenbeet zerrupft hat. Immerhin gibt die durchgeknallte Alte ihm ihre Kreditkarte, damit er sich endlich den heiß ersehnten Geräteschuppen – für ihn Sinnbild der Ordnung und Normalität – zulegen kann.

So plätschert die streckenweise bemüht wirkende Tragikomödie ohne beeindruckende Höhepunkte von Szene zu Szene, was man ihr letztlich aber nicht wirklich ankreiden kann. Denn darum geht es ja gerade – um die Auszeit von Konventionen. Warum nicht auch von filmischen – die Jury des 37. Filmfestivals zur Vergabe des Max-Ophüls-Preises honorierte diese ungewöhnliche Herangehensweise mit dem Drehbuchpreis für Knoller und die Autorendebütantin Paula Cvjetkovic.

Weser Kurier / Juli 2016