Drama auf Trab
Der Pferdefilm »Zoe & Sturm« überzeugt mehr als die meisten seiner Art
Der Pferdefilm ist nicht totzukriegen. Die Geschichte des vom Schicksal gebeutelten Arbeitspferds »Black Beauty« beispielsweise wurde von 1921 bis zuletzt 1994 insgesamt achtmal verfilmt. Auch die Mädels vom Immenhof galoppierten von den 50er Jahren durch die 70er Jahre bis in unsere Gegenwart. Die Neuverfilmung des zweiten Teils der Geschichte um das titelgebende Ponygestüt kam erst im Frühjahr letzten Jahres in die Kinos. Für Überraschungserfolge sorgten in den letzten Jahren Katja von Garniers »Ostwind«-Trilogie und Detlev Bucks fünfteilige »Bibi & Tina«-Reihe.
Ein Klassiker des Pferdefilms ist selbstredend Robert Redfords berührende Bestseller-Verfilmung »Der Pferdeflüsterer« von 1998. Christian Duguays Drama »Zoe & Sturm«, das auf dem Roman und der Graphic Novel von Autor Christophe Donner und Illustrator Jérémie Moreau beruht, zeigt gewisse Parallelen zu Redfords bildgewaltigem Film. Auch hier geht es um ein pferdebegeistertes Mädchen, das durch sein Lieblingspferd schwer verletzt wird und das Vertrauen in den vierbeinigen Gefährten und somit ins Leben zurückgewinnen muss.
Der Film beginnt mit einer effekthascherischen, aber dennoch berührenden Szene auf einem Gestüt in der Normandie, einer Spitzenregion für den Trabrennsport. Philippe (Pio Marmaï) und Pferdepfleger Sébastien sind gerade dabei, der Stute Belle Intrigante beim Fohlen zu helfen, als Philippes hochschwangere Frau Marie (Mélanie Laurent) auftaucht. Bei ihr haben ebenfalls heftige Wehen eingesetzt. Beinahe zur gleichen Zeit wie die Traberstute ihr Fohlen bringt Marie im Stall ihre Tochter Zoe zur Welt. Vier Fohlengeburten waren wohl vonnöten, bis man die Sequenz endlich so im Kasten hatte, wie es dem Regisseur vorschwebte. Wenn gegen Ende derselben die Stute vorsichtig an Zoe schnuppert, weiß man, dass ein weiteres »Pferdemädchen« das Licht der Welt erblickt hat.
Der Film beginnt im Jahr 2001 und erstreckt sich über eine Zeitspanne von 19 Jahren, in deren Verlauf drei überzeugende Jungschauspielerinnen in der Rolle der Zoe zum Einsatz kommen. Die fünfjährige Zoe wird von June Benard, die zwölfjährige von Charlie Paulet und die 17-jährige von Carmen Kassovitz gespielt. An die beeindruckende Performance der damals erst 14-jährigen Scarlett Johansson in »Der Pferdeflüsterer« reicht jedoch keine ganz heran.
Die eigenwillige Zoe wächst auf dem großen Gestüt auf, das ihr Vater mit der finanziellen Unterstützung des US-Investors Cooper (Danny Huston) renoviert und erweitert. Dieser wird angenehmerweise nicht – wie häufig in Pferdefilmen – als eindimensional böser Finanzhai dargestellt.
Die Jahre vergehen. Zoe ist wild entschlossen, Sulky-Fahrerin wie ihr Vater zu werden – und Belle Intrigante bringt ein weiteres Fohlen zur Welt. Zoe darf ihm einen Namen geben: Sie tauft es »Sturm«. Während eines Gewitters, als Zoe zwölf Jahre alt ist, geschieht dann das große Unglück: Die panische Stute bringt bei der Flucht aus dem beschädigten Stallgebäude das Mädchen zu Fall, Sturm verletzt Zoe daraufhin versehentlich mit seinen Hufen. Fortan ist sie querschnittsgelähmt. Das einst so lebensfrohe Mädchen versinkt in Depressionen und regelrechtem Welthass.
Der Film nimmt sich in realistischer Manier viel Zeit, um diese schwere Episode in Zoes Leben zu erzählen. Geht es doch nicht vornehmlich darum, dass Zoe sich durchbeißt, hart trainiert und mit ihrem Handicap zu leben lernt, sondern erst einmal darum, dass sie lernt, zu vergeben. Es ist der – von Kacey Mottet Klein wunderbar verkörperte – neurodivergente Sébastien, der dem Mädchen diesen Weg aufzeigt. Dieser Außenseiter, der mit dem Herzen denkt und ohne viele Worte kommuniziert, gibt dem Film eine ganz besondere Note. Ein weiterer Aspekt, der der Geschichte Tiefe verleiht, besteht darin, dass die Vatertochter Zoe sich über ihre abgrundtiefe Verzweiflung wieder ihrer Mutter annähert.
Beim großen, von Kameramann Christophe Graillot spannend eingefangenen Trabrennen gegen Ende des Films kommt dann Zoe eine Schlüsselrolle zur Rettung des Gestüts zu, das kurz vor dem Konkurs steht. Auch wenn die Geschichte nicht bahnbrechend originell ist, so besticht sie doch durch profundes Wissen rund um den Pferdesport, feiner als in den meisten Pferdefilmen gezeichnete Figuren, eine angenehme musikalische Untermalung mit den Jazzklängen von Michel Cusson sowie durch ein angemessenes Erzähltempo.
Man merkt dem frankokanadischen Regisseur, der 2013 mit seiner Verfilmung der wahren Geschichte des berühmten Springpferds »Jappeloup« emotional nicht ganz zu überzeugen wusste, nicht nur seine wohltuende Kenntnis der Pferdeszene an, sondern auch, dass er dramaturgisch dazugelernt hat. Sein Film über die Kraft der Vergebung und eine resiliente Familie, die letztlich gemeinsam an den Herausforderungen des Lebens wächst, hebt sich wohltuend von konventionellen Pferdefilmen ab.
Foto (c) Julien Panié/Nolita CinemaStars
„Zoe und Sturm“ in nd von August 2023