Foto (c) 2018 Agnette Brun
Unfassbares Grauen
Ein Rechtsruck geht durch Europa. Zu seinen grauenvollen Auswüchsen gehörte auch das Attentat des Rechtsextremisten Anders Behring Breivikam am 22. Juli auf der norwegischen Insel Utøya. In einem Sommercamp der sozialistischen Arbeiterpartei richtete er ein unvorstellbares Blutbad an, Neunundsechzig Jugendliche kamen damals zu Tode, etliche wurden verletzt. Die traumatisierten Überlebenden sind bis heute kaum in der Lage über ihre schrecklichen Erlebnisse zu reden, die kollektive Erinnerung daran verblasst allmählich. Das, was vielen im Gedächtnis blieb, ist der Name des mörderischen Rechtsextremisten. Genau dem wollte sich Regisseur Erik Poppe mit seinem Film „ Utøya- 22.Juli“ entgegenstellen. Gemeinsam mit Betroffenen erarbeitete er ein Skript, dass die Geschehnisse von 2011 – mit fiktiven Figuren – aus der Perspektive der Überlebenden erzählt.
„Das wirst du nie verstehen“, sagt die 18-jährige Kaja (Andrea Berntzen) zu Beginn direkt in die Kamera. Sie meint damit allerdings ihre entsetzte Mutter mit der sie gerade telefoniert. Wenig später setzen die ersten Schüsse ein, und zweiundsiebzig unerträgliche Minuten lang (solange dauerte es bis eine Spezialeinheit auf der Insel eintraf) heftet sich die Kamera in einem einzigen Take an Kajas Fersen, durchleidet mit ihr und den anderen, wie es sich anfühlt, nicht zu wissen und nicht fassen zu können, was gerade geschieht. Mensch steht mit ihnen Todesängste durch – der Täter ist nur gegen Ende einmal kurz schemenhaft zu sehen (und wird auch im Abspann nicht namentlich genannt).
Darf man so etwas überhaupt verfilmen? – und wenn ja, auch als Thriller in Echtzeit? Verstanden hat man am Ende tatsächlich nicht mehr, aber man redet wieder darüber und das ist gut so.
In: Missy Magazine von 2018