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Foto (c) 2018 20th Century Fox

Wahn oder Wirklichkeit

Steven Soderbergh liefert mit seinem iPhone-Thriller „Unsane – Ausgeliefert“ einen packenden Streifen ab.

Er hat es wieder getan: Steven Soderbergh, der 2013 lautstark seinen Abschied aus dem Filmbusiness ankündigte, hat schon wieder einen Film gedreht. Nachdem der experimentierfreudige Regisseur seinen letzten Streifen, die Gaunerkomödie „Logan Lucky“, komplett ohne Studios finanziert hatte, drehte er den Psychothriller „Unsane – Ausgeleifert“, der auf der Berlinale seine Weltpremiere feierte, komplett mit dem iPhone (und drei zusätzlichen Linsen.) Damit ist er nach Sean Baker, der seinen Smartphone-Film „Tangerine L.A.“ bereits 2015 beim Sundance Film Festival vorstellte, der zweite Regisseur, der auf diese ungewöhnliche Art einen Kinofilm drehte. Auch hinter dem Kameramann-Pseudonym Peter Andrews und der Cutterin Mary Ann Bernard verbirgt sich wieder einmal niemand anders als der umtriebige Soderbergh selbst. Stürzende Weitwinkelperspektiven und merkwürdige Farbgebungen unterstützen die Sichtweise der geplagten Hauptfigur, einer Frau, die übelste Stalking-Erfahrungen gemacht hat.

Sawyer Valentini, herausragend gespielt von „The Crown“-Star Claire Foy, ist extra von Pennsylvania nach Boston gezogen, um ihrem überaus hartnäckigen Stalker David Strine („Blair Witch Project“-Darsteller Joshua Leonard) endgültig zu entfliehen. Doch der Neuanfang will nicht so recht gelingen: Die taffe Analystin erkennt in vielen Männergesichtern ihren Verfolger wieder.

Als sie nach einem Tinder-Date einen Zusammenbruch hat, beschließt Sawyer, eine wöchentliche Therapie zu beginnen. Doch die vermeintlich freundliche Psychiaterin jubelt ihr ein Formular unter, das sie – ohne es groß durchzulesen – einfach unterschreibt: Damit stimmt Sawyer einer 24-Stunden-Einweisung zu, die, als sie sich wehrt, auf sieben Tage ausgeweitet wird. Schließlich soll die Bettenauslastung nach dem Wunsch der profitorientierten Klinikleitung so hoch wie möglich sein.

Das perfide Gesundheitssystem prangerte Soderbergh bereits in „Side Effects“ an. Die Szenen, in denen Sawyer gegen ihre Einweisung rebelliert und dadurch nur noch umso verrückter wirkt, können es an Gänsehaut-Potenzial durchaus mit Milos Formans Kultklassiker „Einer flog über das Kuckucksnest“ aufnehmen.

Und noch ein Filmklassiker kommt einem in den Sinn: Samuel Fullers Film „Schock-Korridor“ aus dem Jahre 1963, in dem sich ein Journalist in die Psychiatrie einweisen lässt, um in einem Mordfall zu ermitteln. Die Drehbuchautoren Jonathan Bernstein und James Greer bauen in den Stalking-Plot auch noch einen vergleichbaren Nebenplot ein: den des investigativen Journalisten Nate (Jay Pharoah), der sich wegen einer vorgetäuschten Opiumsucht hat einliefern lassen, um Beweise für die üblen Machenschaften der Klinik „Highland Creek“ zu sammeln.

Doch es kommt noch schlimmer. Nicht nur, dass Sawyer sich ihre äußerst aggressive Bettnachbarin Violet (grandios: Juno Temple) sogleich zur erbitterten Feindin macht, sondern bei der nächtlichen Tablettenausgabe steht sie auf einmal ihrem Stalker David gegenüber, der sich als Pfleger George Shaw ausgibt. Wahn oder Wirklichkeit?

Der Zuschauer schwankt. In Rückblenden hat man bereits gesehen, wie hartnäckig David Sawyer gestalkt hat. Ein Sicherheitsberater, der überaus witzig von Soderberghs Stammschauspieler Matt Damon gespielt wird, hat Sawyer derart überzeugend vor möglichen Gefahren gewarnt, dass man als Zuschauer sein Smartphone und Facebook fortan mit anderen Augen betrachtet.

In einer kammerspielartigen, mit dem iPhone grandios eingefangenen Szene in einer Gummizelle, in der Sawyer dem Stalker hilflos ausgeliefert ist, begreift die resiliente, junge Frau, dass sie die Machtverhältnisse umkehren muss, um ihrer schier ausweglosen Situation zu entkommen.

Der Film kippt nun endgültig in einen verstörenden Horrorthriller, die Kritik am Gesundheitswesen verblasst zu einer Randnotiz. Das kann man misslungen oder enttäuschend finden – oder sich einfach auf ein twistreiches, packendes Finale einlassen.

Weser Kurier / März 2018