Foto: (c) Complizenfilm
Überambitionierte Kopfgeburt
Spätestens seit dem französischen Erfolgshit „Ziemlich beste Freunde“ weiß man, dass die Paarung Gauner und wohlhabender alter Mann mit Handicap ziemlich witzige Filme hervorbringen kann. Der neueste Film von Benjamin Heisenberg, „Über-Ich und Du“, hat eine ganz ähnliche, wenn auch etwas „abgehobenere“ Grundkonstellation. Der Enkel des Physikers Werner Heisenberg versucht sich nach seiner Polittragödie „Schläfer“ (2005) und seinem viel beachteten Thriller „Die Räuber“ (2010) nämlich zum ersten Mal an einer Komödie. Ins Rennen um die Lacher des Publikums schickt er einen Bücherdieb und einen Psychologen mit Nazi-Vergangenheit, der sich im Anfangsstadium der Demenz befindet.
Der Film wartet schon mal mit zwei äußerst vielversprechenden Hauptdarstellern auf: Den berühmten Psychologen Curt Ledig verkörpert der Franzose André Wilms, der aus Aki-Kaurismäki-Filmen wie „Le Havre“ bekannt ist. Den Kleinkriminellen Nick Gutlicht, den der alternde Psychologe einmal als eine Mischung zwischen „Kanal- und Leseratte“ bezeichnet, gibt der österreichische Schauspieler Georg Friedrich, der unter anderem schon mit Michael Haneke und Ulrich Seidl zusammengearbeitet hat.
Nick muss zu Beginn des Films dringend untertauchen, hat er doch jede Menge Schulden – unter anderem bei einer dominanten Gaunerdame namens „Mutter“ (Maria Hofstätter). Zuflucht findet er zufällig in der Villa des alten Psychologen Curt, der wiederum der Aufsicht seiner überfürsorglichen Kinder entfliehen möchte und mit seiner vergessenen Schuld zu kämpfen hat. Seinen Lehrstuhl bekam er damals nämlich nur auf Goebbels Empfehlung.
Der gewitzte Nick darf Curt aufgrund einer Verwechslung künftig in dessen Villa am Starnberger See betreuen. Doch die Geschichte gerät aus dem Ruder, als Curts Interesse an dem „schamhaft analen, latent ödipalen“ Fall namens Nick erwacht. Er beginnt ihn zu therapieren. Und das, obwohl der berühmte Psychologe seit 50 Jahren niemanden mehr behandelt und selbst auch einige Macken hat.
Ausgebuffte Psychologieexperten werden womöglich ihre wahre Freude haben, wenn sich die späte Reue des Therapeuten bald schon auf den mutterfixierten Patienten überträgt – inklusive der Ticks, die Curt so an den Tag legt. Auf den Laien jedoch wirkt das alles genauso hanebüchen wie die darauffolgende schamanische Blitztherapie, in der Nick kurzerhand bis auf den Kopf neben Curts Berghütte eingebuddelt wird. Diese recht lange Sequenz scheint typisch für Heisenbergs durchaus charmanten, leider aber auch hoffnungslos überambitionierten Film: Nicks Therapie-Leiden wirken eher verstörend als komisch, genau wie die angestrengte Versuche des vergesslichen Psychologen, sich an seine Nazivergangenheit zu erinnern.
Der hier und da durchaus intelligenten und absurden Witz versprühende Film verkommt deshalb leider vor allem im zweiten Teil zu einer schwer zu durchschauenden, symbollastigen Kopfgeburt. Das Feuerwerk an Lachern, das die Grundkonstellation verhieß, wird so immer wieder kurz vor dem Entzünden intellektuell gelöscht.
NWZ / Mai 2014