Foto: Jérome Prébois (Arsenal Filmverleih)
Träumende Mädchen
„Mein Bauch gehört mir“, protestierten 1971 prominente und weniger bekannte Frauen im „Stern“ gegen Paragraph 218, der Abtreibung zur Straftat erklärte. Ihr Recht auf Selbstbestimmung forderte 2008 auch eine Gruppe von Teenagern in den USA ein – auf konträre und recht naive Weise: Die Schülerinnen schlossen einen geheimen Pakt und verabredeten sich zum Schwangerwerden. Inspiriert von diesem verblüffenden Fall beschlossen die Regisseurinnen Muriel und Delphine Coulin dieses Ereignis in ihre trostlose Heimatstadt Lorient zu verlegen. Ihr Spielfilmdebüt 17 Mädchen wurde 2011 zum Überraschungserfolg in Cannes.
Nahaufnahmen von verletzlicher Haut, noch beinahe kindlichen Bäuchen und sehnsuchtsvollen Mädchengesichtern, die in Unterwäsche aufgereiht vor dem Behandlungszimmer der Schulkrankenschwester warten und sich gegenseitig necken – diese Bilder läuten den filmischen Reigen des durchgängig aus der Teenager-Perspektive erzählten Films der Coulin-Schwestern ein. Noch im Untersuchungsraum gesteht die beliebte Camille (Louise Grinberg) der Krankenschwester, dass sie glaubt, schwanger zu sein. Als sie dann vor dem weiten Horizont am Meer ihrer Clique von der unfreiwilligen Schwangerschaft erzählt, beginnt sich ein trotziger Plan in ihr zu manifestieren.
Das von der Perspektivlosigkeit ihres Lebens frustrierte Mädchen überzeugt ihre Freundinnen, es ihr nachzutun. Rasch werden rosige Zukunftspläne geschmiedet: Die jungen, von ihren Eltern enttäuschten Mütter könnten sich zusammen eine Wohnung nehmen und ihre Kinder gemeinsam großziehen. Für das Klassenfoto posieren am Ende 17 dickbäuchige Mädchen.
Mit großer Leichtigkeit, aber stellenweise leider auch ein wenig langatmig, erzählt der Film von der tatkräftigen Umsetzung der naiven Utopie. Nur gelegentlich sprengen Schwangerschaftsprobleme und Ängste den schönen Gemeinschaftstraum der Mädchen. Getragen wird der Film von bemerkenswerten Laiendarstellerinnen. Leider lernt man nur wenige der zahlreichen Hauptfiguren etwas näher kennen, wie zum Beispiel Florence, gespielt von Roxane Duran, die bereits einmal in „Das Weisse Band – eine Deutsche Kindergeschichte“ von Michael Haneke brillierte. Sie wandelt sich aufgrund ihrer (vermeintlichen) Schwangerschaft vom Mobbingopfer zum vollwertigen Gruppenmitglied.
Jammerschade auch, dass die gesellschaftskritischen Töne des halbdokumentarischen Films letztlich etwas zu leise ausfallen: Der Zuschauer wird weitgehend damit alleingelassen, sich die seelische Verwahrlosung der Mädchen und die Gründe für die Ratlosigkeit der Eltern und Erzieher angesichts der Schwangerschaftsrebellion zu erklären. So bleibt am Ende ein stilistisch herausragender Film, eine sensible Studie von Teenagerbefindlichkeiten heute, aber auch ein Film, der viele naheliegende Konfliktszenen nur anreißt oder einfach ausspart und deshalb bedenklich unklar in der Aussage bleibt.
17 Mädchen in Movie Jones von Juni 2012