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Das Liebesgefühl der Achtziger
Das Taxi. Ein mobiler Raum, in dem sich im steten Wechsel unterschiedlichste Charaktere aus allen sozialen Schichten einfinden und rasch wieder von dannen ziehen. Dem Fahrer gewährt es eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit. Diese Erfahrung teilt sich Kerstin Ahlrichs “Taxi” – nach einem Roman von Karen Duve, die auch das Drehbuch verfasste – mit dem ebenfalls in diesem Sommer angelaufenen Berlinale-Gewinner “Taxi Teheran” des iranischen Regisseurs Jafar Panahi. Darüber hinaus kreiert Ahlrichs neben einer recht hübschen Hommage an das Lebensgefühl der 80er-Jahre und die unterkühlte Hansestadt Hamburg auch eine beeindruckende Romanze jenseits von Rollenklischees.
Letzteres liegt vermutlich auch daran, dass es Ahlrichs und Duve tatsächlich gelang, niemand Geringeren als den begnadeten Schauspieler Peter Dinklage (“Game of Thrones”) für die Rolle des Liebhabers Marc zu gewinnen. Perfekt besetzt ist mit Rosalie Thomass (“Das Leben ist nichts für Feiglinge”) zudem die Rolle des erklärten Alter Egos von Duve – die tatsächlich 13 Jahre lang Jahre Taxi fuhr, bevor sie als Autorin Fuß fasste.
Ebenso schmeißt also auch Alex (Thomass) ihre Ausbildung bei einer Versicherungsgesellschaft hin, wie der Zuschauer von einer im Grunde recht überflüssigen Off-Stimme erfährt. Sie möchte einem trostlos-spießigen Leben entkommen, wie es ihre Mutter, ihr Stiefvater und ihr yuppiehafter Bruder führen. Kurzentschlossen bewirbt sich die schöne, kühle Blondine bei einem Taxiunternehmen.
Fortan flieht die 25-Jährige in ihren Nachtschichten vor dem normalen Leben und unbewusst auch vor sich selbst. Dabei befindet sie sich in guter Gesellschaft mit ihren Kollegen: Da wären der gut aussehende Eigentlich-bin-ich-Künstler-Typ Dietrich (Stipe Erceg) und der ihn haltlos bewundernde Möchtegern-Philosoph Rüdiger (Robert Stadlober), außerdem der sogenannte “Taximörder” (Antoine Monot, Jr.), der hin und weg ist, wenn er Models fahren darf, und Udo (Tobias Schenke), der vom großen Geld träumt.
Leider sind diese an sich interessanten Charaktere im Gegensatz zum Roman zu karikaturhaft geraten. Schon bald schlittert die ziel- und haltlose Alex, während sie Nacht für Nacht hauptsächlich verkrachte Existenzen wie einen fiesen Dauerbetrunkenen (Armin Rhode) fahren muss, in eine Beziehung mit Dietrich, den sie nicht einmal besonders mag. Doch dann begegnet sie – bevor der Film in episodenhafte Belanglosigkeit abgleitet – in ihrem Taxi dem kleinwüchsigen Marc (Peter Dinklage), den sie von früher kennt.
Es entwickelt sich eine wunderbare, klischeefreie Romanze, wie man sie im deutschen Kino selten zu sehen bekommt. Im Gegensatz zu Alex hat der Ex-Barkeeper sein Leben mittlerweile im Griff – und als Einziger in ihrem Umfeld die Größe, Alex zu akzeptieren wie sie ist. So dringt er allmählich durch die raue Schale von “Zwodoppelvier”, wie Taxifahrerin Alex genannt wird.
Das Achtziger-Jahre-Girl ist ein typisches Kind ihrer Zeit. Ahlrichs gelingt es, die 80er-Stimmung durch von Kamerafrau Sonja Rom hübsch eingefangene Lichtstimmungen, Alex’ Lofteinrichtung sowie authentische Klamotten und Requisiten à la Commodore 64 in Szene zu setzen. Leider arbeitet der Film nicht mit Original-80er-Musik, sondern verwendet eigens von Michel van Dyke komponierte Lieder. Zwar gelingt es dem holländischen Songwriter, den musikalischen Geist der Zeit angemessen nachzuempfinden. Aber es ist eben doch nicht der Originalsound, der den Zuschauer auf eine noch tiefergehende Achterbahnfahrt in das Lebens- und Liebesgefühl der Achtziger Jahre geschickt hätte.
Münchner Abendzeitung / Aug. 2015