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Der Spiegel der Narzissten

Eine »non-rom-com« nennt der norwegische Regisseur Kristoffer Borgli seinen neuen Spielfilm. Die ganz und gar unromantische Komödie handelt von einem toxischen Pärchen, das sich einen grotesken Wettkampf darum liefert, wer von beiden die größere Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Wenn du erfolgreich sein willst, musst du narzisstisch sein«, sagt Signe ganz zu Anfang der bitterschwarzen norwegischen Dramödie »Sick of Myself« zu einer Freundin. Die verstörende non-rom-com des norwegischen Regisseurs Kristoffer Borgli, die in der Sektion »Un Certain Regard« der Filmfestspiele von Cannes 2022 ihre Weltpremiere feierte, zeigt, wie die Selbstbesessenheit einer jungen Frau ins komplett Pathologische driftet.

Aber mal Hand aufs Herz, wer kennt das denn nicht: eine Anekdote aus dem eigenen Leben in fröhlicher Partyrunde etwas aufzupeppen, um besser dazustehen; ein wenig angesäuert sein, wenn die Freund:in oder die eigene Partner:in wieder die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht oder Karriere macht, während man selbst auf der Stelle tritt; oder sich in schwachen Stunden vorzustellen, wie bei der eigenen Beerdigung alle um einen weinen und zutiefst bereuen, was sie einem angetan haben. Ganz zu schweigen davon, wie positiv sich alle in sozialen Medien darstellen; egal ob ironisch gebrochen oder nicht.

Genau um solche Verhaltensweisen geht es in »Sick of Myself«; die Psychospielchen machen den fiesen Reiz dieses überaus originellen Films aus, der in eine endlose Abwärtsspirale der Selbstbezogenheit führt, ausgelöst durch eine toxische Beziehung.

Die Kellnerin Signe geht in ihrem unstillbaren Drang nach Aufmerksamkeit aber noch einen Schritt weiter als der normal narzisstisch Gestörte unserer Zeit; und noch dann noch einen und noch einen.

Der auf Special-Effect-Makeup spezialisierte Maskenbildner Izzi Galindo hat großartige Arbeit geleistet.

Gespielt wird Signe von der norwegischen Schauspielerin Kristine Kujath Thorp (»Ninjababy«), die wie ihre Landsfrau Renate Reinsve, die kürzlich in der Rolle der Julie in »Der schlimmste Mensch der Welt« brillierte, eine grandiose Schauspielerin ist, die man unbedingt im Auge behalten muss. Kujath Thorp ist es zu verdanken, dass die unglaublich selbstbezogene Signe nicht zur Karikatur verkommt. Nur folgerichtig wurde sie auf der diesjährigen Berlinale als eine der »European Shooting Stars 2023« ausgezeichnet.

Der auf 35 mm gedrehte Film beginnt mit einer großartigen Szene: Signe sitzt in Oslo mit ihrem unsympathischen, narzisstischen Freund, dem kleptomanischen Konzeptkünstler Thomas (dargestellt von dem Bildenden Künstler Eirik Sæther), in einem schicken Restaurant. Das toxische Pärchen gibt vor, Signe habe Geburtstag und zur Feier des Tages wolle man sich eine sündhaft teure Flasche Wein gönnen. Signe soll dann so tun, als würde sie wegen eines Telefongesprächs das Lokal verlassen, und Thomas plant, ihr zu folgen und mit der Flasche abzuhauen.

Erst einmal scheitert der Plan, weil die Kellner Signe mit einer mit Wunderkerzen geschmückten Torte überraschen. Signe genießt die Aufmerksamkeit, die ihr dadurch zuteil wird. Thomas fordert sie nach dem Geburtstagszauber mit falschem Lächeln auf, am gemeinsamen Plan festzuhalten. Signe ist nur unter der Bedingung dazu bereit, dass sie später ihren Freund:innen erzählen darf, sie und nicht Thomas habe die Flasche gestohlen. Thomas willigt ein (wird sich später aber nicht daran halten) und die beiden ziehen ihren Plan durch.

Im nächsten Moment sieht man, wie der Kellner draußen hinter Thomas herrennt. Signe allerdings versteckt sich merkwürdigerweise nicht. Erst im Nachhinein begreift man diese Szene. Signe ist doch tatsächlich eifersüchtig auf die negative Aufmerksamkeit, die ihrem Freund durch die Verfolgung des Kellners zuteil wird.

Dieser Neid hält an. Als Thomas mit seinen Kunstinstallationen aus geklauten Möbeln Erfolg hat, ist Signe völlig verzweifelt. Wie, ja wie nur kann es ihr gelingen, ihren Freund im Kampf um Aufmerksamkeit wieder auszustechen?

Als vor dem Café, in dem Signe arbeitet, ein Hund eine Passantin angreift und Signes Shirt Blutspritzer abbekommt, kommt sie auf die Idee, dass man als blutendes Opfer einiges an Aufmerksamkeit erregen kann. Leider gelingt es ihr dann aber nicht, den für dieses Spielchen auserkorenen freundlichen Husky dazu zu bewegen, sie zu beißen, stattdessen wird sie von seinem Herrchen als gestörte Tierquälerin beschimpft.

Kurz darauf, als ihr Freund in großer Tischrunde eine selbstgefällige Rede auf seine erste Ausstellung hält, täuscht sie erfolgreich eine Nussallergie vor, um alle Blicke auf sich zu ziehen.

Doch leider gelingt es Signe nie, für längere Zeit im Mittelpunkt zu stehen.

Glücklicherweise offeriert ihr das Internet eine dauerhaftere Lösung: Beim Surfen stößt sie auf ein russisches Medikament, das einen richtig schlimmen Hautausschlag und andere Nebenwirkungen verursacht. Über ihren Drogendealer besorgt sie sich das hochgefährliche Zeug und verschlingt es gleich packungsweise. Schon bald ist ihr Gesicht völlig entstellt und der Film kippt beinahe ins Body-Horror-Genre. Der auf Special-Effect-Makeup spezialisierte Maskenbildner Izzi Galindo hat großartige Arbeit geleistet. Auch Borgli war dermaßen begeistert von seinem Können, dass der Regisseur spontan zusammen mit Galindo noch den schrägen Kurzfilm »Eer« drehte, den man sich auf Youtube anschauen kann.

Signes gestörte Persönlichkeit findet keine Ruhe, außer in manchen ihrer geschickt eingeflochtenen Tagträume, in denen sie der Mittelpunkt der Welt ist und alle sie lieben und bewundern.

Spätestens wenn Signe völlig entstellt im Krankenhaus landet, sich aber aus Angst, dass ihr Schwindel auffliegt und sie sofort exekutiert wird, allen Untersuchungen verweigert, bleibt der Zuschauerin das Lachen immer wieder im Halse stecken. Zuweilen erinnert der boshaft-zynische Humor an Ruben Östlunds »Triangle of Sadness«, doch »Sick of Myself« ist noch eine Spur unerträglicher.

Denn Signes gestörte Persönlichkeit findet keine Ruhe, außer in manchen ihrer geschickt eingeflochtenen Tagträume, in denen sie der Mittelpunkt der Welt ist und alle sie lieben und bewundern. Die Zuschau­er:in bemerkt nicht immer sofort, dass es sich um eine ihrer Phantasien handelt, erst wenn sich für Signe alles zum Guten wendet, begreift man, dass sie gerade wieder einer ihrer narzisstischen Träumereien nachhängt.

Als das Interesse an Signe als bemitleidenswertem Opfer allmählich wieder abzuflauen beginnt, überredet sie eine befreundete Journalistin, über sie zu schreiben, und regt sich furchtbar darüber auf, als der Artikel im Netzranking nach unten rutscht, da die Topmeldung des Tages von einem Vater handelt, der seine Familie getötet hat. »Beschissenes Timing«, beschwert sie sich. Während man noch vor Entsetzen den Kopf schüttelt, fallen einem all die Selbst­dar­steller:innen auf Social Media ein, die auch keine Schamgrenzen zu kennen scheinen.

Zu guter Letzt heuert Signe bei einer Agentur an, die mit inklusiven Models arbeitet. In ihrer geschmacklosen Überspitztheit erinnern diese Szenen daran, wie schamlos Opfergeschichten mittlerweile von den Medien ausgeschlachtet werden.

Bis zum bitteren Ende hält Signe, aber auch Thomas, der narzisstischen Gesellschaft einen Spiegel vor, fasziniert schaut man hinein und erkennt bei allem Abscheu und allem Ekel auch etwas von sich selbst inmitten eines gesellschaftlichen Umfelds, in dem der gnadenlose Wettbewerb um Aufmerksamkeit längst krankhafte Ausmaße angenommen hat.

Foto (c) Oslo Pictures

„Sick of myself“ in Jungle World März ’23