Fotos (c) Gabriele Summen
Gisela schuftet fürs Rentenniveau
Der Teenager im Bikini-Haus ist begeistert. Gisela lächelt freundlich, dann beginnt sie mit der Arbeit und baut für ihn innerhalb von sechs Minuten einen kleinen Papproboter zusammen. Eingesperrt in einen Glaskasten, der die zwei Meter große Dame vor allzu begeisterten Kunden schützen soll, verrichtet sie dennoch sichtlich vergnügt ihre Arbeit, elf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Demnächst soll sie auch noch die freie Zeit nachts nutzen, um für ihren Chef, Matthias Krinke, eine digitale Gürtelschnalle zu programmieren. Wer derart gut gelaunt, wenn es nötig ist, auch Tag und Nacht, seiner Arbeit nachgeht, kann kein Mensch sein. Ist Gisela auch nicht, sondern sie ist eine 500 Kilo schwere Roboterdame aus dem Hause pi4_robotics, ein Unternehmen, das seit rund 25 Jahren an Gisela und ihren »Artgenossen« tüftelt. Benannt ist sie nach Krinkes Mutter, die natürlich sehr viel weniger wog, aber auch immer gerne lächelte und rot trug.
Krinke Firma pi4_robotics arbeite daran, dass Gisela bald auch berlinern kann, erzählt Krinke. Der umtriebige 52-jährige, der mit seiner Firma Robozän die erste Zeitarbeitsfirma für humanoide Roboter betreibt, hat die kleine Robotermanufaktur Gisela an eine weitere Firma, die ihm gehört, ausgeliehen. „Robots & Girls“ nennt sich das Berliner Techfashion-Label, das künftig Spielzeug, Schmuck und Mode produzieren soll.
Die Büros und Werkstätten des Schwaben liegen in Wedding auf dem Gelände eines historischen Technologie- und Innovationsparks. Hinter den Gründerzeitfassaden empfängt mich nicht nur der Wahlberliner Herr Krinke und sein „workerbot 1“, der 2010 auf den Markt kam, sondern auch dessen Ururenkelin Roboterdame Yolandi. Mittels ihrer in den Händen eingebauten Kameras kann sie genau verorten, wo ich stehe. 2016 gewann sie den Innovationspreis Berlin-Brandenburg.
Die bauchlose Yolandi, die einen Kopf bestehend aus einem Display hat, das ein stilisiertes, menschliches Gesicht zeigt, zwinkert mir zu. Sie ist ihren Erfindern sehr gut gelungen. Aus ihrem „Gesicht“ kann ich problemlos ihre Befindlichkeit ablesen, ohne dass ich mich grusele, weil Yolandi mir eben nicht – wie viele japanische Modelle – zu sehr ähnelt.
Als Freund von Sharing-Konzepten und Nachhaltigkeit will Krinke für jedermann die Möglichkeit eröffnen, sich einen Roboter zu kaufen, ihn zu taufen – und für sich arbeiten zu lassen. Stolze 100.000 Euro kostet ein Modell wie Gisela, Vermittlung, Reparatur und Fitmachen für unterschiedliche Jobs übernimmt Robozän und erhält dafür einen Teil des Robotergehalts, das von den Auftraggebern gezahlt wird. Bei voller Auslastung kann sie fünf Jahre alt werden.
Ich schlucke und sehe meinen geruhsamen Lebensabend schon wieder dahin schwimmen, Krinke tröstet mich: Es gäbe aber auch günstigere Modelle. Hendrik, den man allerdings nicht für ganz so einträgliche Jobs einsetzen kann, koste beispielsweise nur 30.000 Euro. Nichts ist perfekt, nicht einmal ein Roboter, denke ich.
Roboterpionier Matthias Krinke
Krinke erzählt begeistert noch von einer weiteren Idee: Die Rentenversicherung könnte doch von ihren Rücklagen Roboter erwerben und diese weiter verleihen und für sich arbeiten lassen. Ein voll ausgelasteter Roboter sei in der Lage ungefähr vier monatliche Renten zu erwirtschaften – und das Problem der Rentenlücke sei gelöst. So einfach wäre das!
Den pfiffige Diplomingenieur Krinke, der die Technikbegeisterung von seinem Vater, einem Papiermaschinen-Ingenieur geerbt hat, arbeitet auch bereits an Pflegerobotern. Noch in diesem Jahr gehen die ersten Maschinen in innovativen Alteneinrichtungen in Betrieb: Hebehilfen, die auf mobile Roboter montiert werden, sowie Hol- und Bringdienste sollen das Pflegepersonal entlasten. Aber auch eine Avatar-Funktion sei denkbar, „man hat dann in der Pflegezentrale eine Person sitzen, die der Roboter anfunken und sagen kann: Der Herr Krinke liegt am Boden, ist ganz grün im Gesicht, da stimmt irgendetwas nicht.“
Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon einen besorgten Roboter, der sich über meinen halb ohnmächtigen Körper beugt – und erkundige mich lieber rasch nach meinem heimlichen Liebling aus der Hightechschmiede pi4-robotics: DJ Rob. Das Unikat gehört mittlerweile TUI Cruises und geht seit Mai mit auf Kreuzfahrt. DJ Rob kann heiße Scheiben auflegen, sich im Rhythmus dazu bewegen und flirten. Krinke erzählt stolz, dass er bestens angenommen würde und schon so einige liebevolle Blicke geerntet haben soll.
Ob er denn auch privat einen Roboter nutze? „Ja, den Eberhard“, antwortet er mir lapidar, „der putzt meinen Badezimmer-Fußboden – Eberhard ist aber ziemlich langweilig.“ Nach wem dieser benannt wurde, will er mir nicht verraten, das könnte „negative Wellen“ schlagen, sagt der Selfmade-Robotermann und lacht.
Doch das Thema „Roboter und Künstliche Intelligenz“ ist auch ein sehr ernst zu nehmendes – es bereitet vielen Menschen Angst: Die Befürchtung durch die rasante technische Entwicklung ihren Job zu verlieren, steht bei vielen an erster Stelle. Und tatsächlich kommen Studien von McKinsey oder der Universität Oxford zu dem Schluß, dass in 20 bis 30 Jahren knapp 50 Prozent der heutigen Jobs von Robotern übernommen worden sind.
Als ich den unermüdlichen Tüftler, der sich nach Büroschluss auch als bildender Künstler betätigt,danach frage, winkt Krinke ein wenig ermattet ab, da ihn diese Frage seit 25 Jahren verfolgt. Er erinnert an den Aufruhr 1844 bei der Einführung der mechanischen Webstühle – und dass sich heute schließlich auch niemand mehr über die Abschaffung der Bankkassierer beschwere und jedermann froh sei, „dass man 24/7 an einem Geldautomaten Geld bekommen kann“. So ist Krinke überzeugt, dass es „immer eine Verlagerung geben wird und dann gibt es wieder neue Ideen, die auch neue Jobs schaffen.“
Zudem hätten wir zur Zeit fast Vollbeschäftigung. Überall, wo man hinkäme, beklagen sich die Arbeitgeber, dass sie kaum noch Leute fänden. Deshalb habe pi4_robotics beispielsweise auch einen Concierge entwickelt, für den es schon die ersten Bestellungen gäbe.
„Warum haben wir denn noch Produktion in Deutschland? Weil wir Roboter haben. Warum sind wir Exportnation? Weil wir Maschinen verkaufen. Warum verkaufen wir Maschinen? Weil wir ein Hightech-Land sind. Das hat alles was mit Robotern zu tun. Wenn wir also weiterhin irgendetwas zu essen haben wollen, dann haben wir gar keine andere Wahl,“ redet Krinke sich ein bißchen in Rage. China habe derzeit die höchsten Zubauraten in diesem Bereich und wir müssten uns dringend fragen, wo wir uns da positionieren. „Was haben wir denn an Rohstoffen, wenn nicht unser Wissen, unsere Ideen und unser Engineering? Das muss man sich auch klar machen und sich überlegen: Wo kommt jetzt meine Angst vor Robotern eigentlich her?“ Vielleicht sollte man einfach weniger Terminator-Filme anschauen.
Er könne auf jeden Fall „nicht mal annähernd eine Künstliche Intelligenz auf diesem Planeten erkennen, dies sei jetzt gerade so eine Trenddiskussion“ deren schlimmste Bedenkenträger „dann wieder negative Emotionen schüren”, sagt Krinke. Natürlich müssten wir genau aufpassen, was wir machen. Er habe ein Problem mit dem Wort „Künstliche Intelligenz“ und würde lieber von selbstlernender Software sprechen.
Ich erzähle ihm von einem Satz, den ich kürzlich gelesen habe – in Zusammenhang mit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung DSGVO. Bundeskanzlerin Angela Merkel erwähnte, dass neulich jemand zu ihr gesagt habe “Künstliche Intelligenz zu entwickeln ohne Daten, ist wie Kühe zu züchten ohne Futter.” Krinke lacht. Ein schöner Satz von der Sorte „Es geht alles, ihr müsst bloß eure Türen aufmachen.“
Dieser Spruch erinnere ihn daran, dass er sich jedes Mal, wenn er in Shanghai sei, wundere, dass es schon wieder drei Wolkenkratzer mehr gebe. Alle sind beeindruckt von dem Tempo, „aber dann müssen wir auch weggucken, denn die Leute, die ihre Häuschen dort hatten, mussten zwangsweise ihr Feld räumen. Dafür, dass wir langsamer sind, sind wir auch frei und können um unsere Rechte kämpfen“, sagt er voller Überzeugung. Er sei auf jeden Fall froh, dass es die DSGVO gibt und mache sich so seine Gedanken: „Was passiert beispielsweise mit Killerrobotern, die selbstständig Tötungsentscheidungen fällen? Da müssen wir uns als Gesellschaft ganz genau überlegen, wo wir die Grenzen ziehen.“
Krinke spricht in diesem Zusammenhang auch von dem menschenähnlichen Roboter Sophia, die Staatsbürgerin von Saudi Arabien geworden ist. „In einem Interview soll sie gesagt haben, sie wolle die Menschheit vernichten. Ich frage mich wirklich, mit was für Daten Sophia angelernt wurde“, aber alles in allem sei so etwas gerade wohl noch Marketing, genau wie der Android, der sich in einem Stadtteil von Tokio um das Amt des Bürgermeisters beworben habe. Er wurde übrigens nicht gewählt.
Die freundlich-fleißige Gisela dagegen hat nebenbei sogar bereits ihre Schauspielkarriere angekurbelt – in einem Berliner Tatort, der im Spätsommer ausgestrahlt wird, spielt sie eine der Hauptverdächtigen.
Die Reportage erschien am 7./8. Juli 2018 in “neues deutschland”