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FOTO: (C) 2016 TWENTIETH CENTURY FOX

Nicht so besonders

Viele Kinder leiden unter einer schmerzlich empfundenen Andersartigkeit. Tim Burton, der Spezialist für verschrobene Außenseiter, gibt mit seinem Genre-Mix, dem 3D-Coming-of-Age-Horrormärchen „Die Insel der besonderen Kinder“, jenen beschützenswerten Außenseitern ein skurriles Zuhause. In einer scheinbar sicheren Zeitschleife tummeln sich die Kinder der exzentrischen Miss Peregrine: Enoch kann zum Beispiel Puppen und Skelette zum Leben erwecken, Emma ist so leicht, dass sie stets Bleischuhe tragen muss, damit sie nicht davonschwebt. Ein engelsgleiches, kleines Mädchen verbirgt ihre scharfen Zähne unter ihrer Lockenpracht, und ein Junge ist in der Lage, seine Träume und Albträume auf eine Leinwand zu projizieren.

Jake (Asa Butterfield), aus dessen Perspektive der Zuschauer das Fantasy-Abenteuer miterlebt, ist zu Beginn ein schüchterner Außenseiter, der eine besondere Beziehung zu seinem kriegstraumatisierten Großvater (überzeugend: Terence Stamp) hat. Von klein auf hat dieser ihm von einem Heim in Wales erzählt, in dem Kinder mit schockierend kuriosen Begabungen wohnen. Als sein Opa unter mysteriösen Umständen ermordet wird, glaubt Jake am Tatort ein Monster gesehen zu haben. Ein Grund für seine Eltern, ihn zu einer Psychiaterin zu schicken, die ihn schließlich zur geheimnisumwitterten Insel vermittelt, von der Jakes Opa immer vermeintlich fantasierte.

Zunächst findet der verstörte Junge nur die Ruine des gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ausgebombten Waisenhauses. Doch schon bald gerät er in eine Zeitschleife, in der es für immer der 3. September 1943 ist. Dort wird er bereits von der toughen Miss Alma LeFay Perigrine (eindrucksvoll verkörpert von der neuen Burton-Muse Eva Green) erwartet. Die düstere Mary Poppins, die diese Zeitschleife geschaffen hat und sich jederzeit in einen Vogel verwandeln kann, stellt ihn nun all den besonderen Kindern vor, die Jake bislang nur von den Fotos seines Großvaters kannte.

Doch auch in diesem Kreis absonderlicher Kinder, deren persönlicher Hintergrund leider völlig im Dunkeln bleibt, fühlt sich Jake zunächst wie ein Außenseiter. Dann begreift er aber, dass auch er eine Gabe besitzt: Er sieht als Einziger entsetzlich verunstaltete Monster, die es auf die Augen der besonderen Kinder abgesehen haben, um ein menschliches Aussehen wiederzuerlangen. Nicht zuletzt diese kindermordenden Wesen, die sogenannten Hollowgasts – die Wortnähe zu Holocaust liegt auf den Lippen – geben dem Film einen derart gruselig-morbiden Touch, dass es wirklich nicht ratsam ist, sich den Film mit Kindern unter zwölf Jahren anzusehen. Schade, denn das schräge Märchen könnte gerade auch jüngeren, „besonderen“ Kindern sehr gut gefallen – während es für Erwachsene leider erzählerisch zu vorhersehbar ist.

Natürlich darf in diesem mehr als zweistündigen Fantasy-Märchen, das an einer oberflächlichen Figurenzeichnung krankt, auch ein Schuss Romantik nicht fehlen: Jake verliebt sich in die schwerelose Emma (Ella Purnell), was man kaum glauben mag, denn es funkt niemals spürbar zwischen den beiden Schauspielern. Kameramann Bruno Delbonnel („Die fabelhafte Welt der Amelie“) findet wiederum verstörend-prachtvolle Bilder für diese typisch Burtonsche Welt mit ein paar hübschen, aber durchaus auch verzichtbaren 3D-Effekten.

Okt. 2016