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Foto (c)  Carole Bethuel / Studiocanal GmbH

Der Blick durch den Türspalt

Der neue Psychothriller von Roman Polanski ist ein wenig glaubwürdiges Kammerspiel um zwei Frauen.

Du hast Angst zu schreiben, was Du schreiben musst, schreib endlich dein verborgenes Buch.« Mit diesem Satz quält eine manische Bewundererin in dem neuesten Film von Roman Polanski die unter einer massiven Schreibblockade leidende Erfolgsschriftstellerin Delphine.

Der melodramatische Psychothriller »Nach einer wahren Geschichte« – nach dem gleichnamigen Bestseller von Delphine de Vigan – ist ein mehrdeutiges Spiel um die Frage nach der Wahrheit in der Kunst. Der mittlerweile 84-jährige Oscarpreisträger Polanski und Olivier Assayas (»Die Wolken von Sils Maria«, »Personal Shopper«) haben die literarische Vorlage relativ werkgetreu adaptiert. Kennt man die Biographie von de Vigan, bekommt das Werk einen doppelten Boden, denn die Schriftstellerin hat Ähnliches erlebt wie die Hauptfigur, die sogar ihren Namen trägt: Auch sie hat einen schonungslosen Bestseller über ihre Mutter geschrieben und konnte mit dem plötzlichen Erfolgsrummel und den Anfeindungen nicht gut umgehen. Was für ein interessanter Aufschlag für eine schwindelerregende Meta-Spielerei.

Beängstigend aufdringlich beugen sich zu Beginn des Films die Fans der Autorin Delphine, die glaubhaft von Polanskis Muse und Ehefrau Emmanuelle Seigner gespielt wird, bei einer Signierstunde der Kamera entgegen. Die erschöpfte Autorin lässt die Veranstaltung vorzeitig abbrechen, als plötzlich doch noch eine weitere Bewundererin vor ihr steht: Die smarte junge Frau (Eva Green) stellt sich ihr als »Elle« vor – das bedeutungsschwangere, französische Personalpronomen für »sie« ist in diesem Fall die Abkürzung für den Vornamen Elisabeth. Vom ersten Augenblick an wirkt Elle leider viel zu psychotisch und gespenstisch, weshalb die folgende Filmhandlung wenig überrascht und der Thrill sich in Grenzen hält.

Schon bald drängt die attraktive Ghostwriterin sich mehr und mehr in das Leben der unter einer Schaffenskrise leidenden Autorin, die wegen ihres letzten Buches auch noch anonyme Drohbriefe erhält. Zudem vermisst Delphine ihre soeben flügge gewordenen Kinder. Schließlich lässt sie die redegewandte Elle sogar bei sich einziehen. Auch der Partner der erfolgsmüden Autorin, Francois (Vincent Perez), der pikanterweise für seine beliebte Literatursendung ständig um die Welt reist, um noch weitaus bekanntere Bestseller-Autoren als seine Lebensgefährtin – wie Joan Didion, Don de Lillo und James Ellroy – zu interviewen, glänzt durch Abwesenheit.

Das recht unglaubwürdige, katz- und-maus-spielartige Kammerspiel um zwei Frauen kann also seinen verhängnisvollen Lauf nehmen. Barbet Schroeders »Weiblich, ledig, jung sucht …« (1992) und Rob Reiners Stephen-King-Verfilmung »Misery« (1990) lassen grüßen. Weitere wenig glaubhafte Handlungsschritte: Delphine lässt sich von Elle willenlos mit Antidepressiva füttern und gibt ihr das Passwort für ihren Computer. Fortan erledigt Elle sämtliche Korrespondenz Delphines. Zudem lässt Delphine Elle, die ihr trotz gleichen Outfits überhaupt nicht ähnlich sieht, an ihrer Stelle eine Schulveranstaltung besuchen, bei welcher eigentlich Delphine selbst hätte sprechen sollen. (Eine Szene wie diese ergibt eigentlich nur Sinn, wenn die Figur Elle lediglich in der Phantasie der Delphine-Figur existiert.)

Die Bemühungen Polanskis – der nach Filmen wie »Rosemaries Baby« (1968) und »The Ghostwriter« (2010) wohl nicht mehr zu beweisen braucht, dass er das Spannungshandwerk der guten, alten Hitchcock-Schule eigentlich meisterhaft beherrscht -, mit altbewährten Mitteln Suspense zu erzeugen, laufen fast völlig ins Leere. Mit fast zwei Stunden Spielzeit erweist sich der Film als definitiv zu lang. Emotionslos sieht man etwa mit an, wie die extrem cholerische Elle einen nicht funktionierenden Mixer und später Delphines Handy zerdeppert, der Schriftstellerin eine Eifersuchtsszene hinlegt, als sie in ihrer Wohnung einer Journalistin ein ausführliches Interview gibt, und wiederholt mit bedrohlichem Blick durch irgendwelche Türspalten lugt, bevor sie die Türen dann bedeutungsvoll wieder schließt. Auch Alexandre Dupats aufdringlicher, klassischer Thriller-Score nervt mehr, als dass er beim Zuschauer eine Gänsehaut auslöst, besonders im letzten Drittel, in dem sich die beiden Frauen in Francois’ Landhaus zurückziehen und der Film seinem Ende zusteuert.

Die Dialoge, in denen viel vom Wesen des Schreibens und der Literatur die Rede ist, sind mäßig bis schwach. Auch während der Filmfestspiele in Cannes fiel der unter immensen Zeitdruck geschnittene Film, den Polanski danach ohne großen Gewinn noch einmal neu cuttete, bei der Kritik weitgehend durch. Der verborgene Film, der unerlöst in Polanskis Film herumspukt, fasziniert jedoch jeden Zuschauer, der weiß oder erahnt, was für Qualen, Zweifel und Leid es einem bereiten kann, real Erlebtes in einem Werk zu verarbeiten. Dies allein macht den Film sehenswert. Vielleicht wäre es besser gewesen, Polanski, von dem man weiß, dass er sich mit dem Schreiben ebenfalls schwer tut, hätte keinen »Ghostwriter« hinzugebeten, der ihm die Arbeit an diesem Stoff abnimmt.

“Nach einer wahren Geschichte” in nd von Mai 2018