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Die Menschheit hat es verbockt

Der postapokalyptische Science-Fiction-Film »Last Contact« erzählt von einer Zukunft, in der die Erde unter Wasser steht

Früher, bevor die Landmassen verschwanden, konnten Vögel zwischen den Kontinenten hin- und herziehen. Sie nutzten einfach den Aufwind … Doch es gibt keine Aufwinde mehr. Wir haben das Gleichgewicht zerstört.» Mit einer melancholischen Frauenstimme aus dem Off beginnt der dystopische Science-Fiction-Film «Last Contact». Im Original heißt er etwas treffender «Last Sentinel», das heißt «Die letzten Wächter». Denn um vier Menschen, die nach dem menschengemachten Klimawandel auf einem Wachposten inmitten eines gleichgültigen Ozeans eine Atombombe bewachen, geht es hauptsächlich in der kammerspielartigen Low-Budget-Produktion des estnischen Regisseurs Tanel Toom, der 2011 mit seinem Kurzfilm «The Confession» für den Oscar nominiert war. Das Produktionsdesign, das die düster-kafkaeske Atmosphäre dieses Endzeitdramas unterstützt, ist gelungen, die Kameraarbeit von Mart Ratassepp sehenswert, der Soundtrack aus dumpfem Maschinenlärm und Meeresrauschen angemessen beklemmend und die Schauspieler*innen agieren glaubwürdig.

Wer aber nach dem nervenaufreibenden Auftakt des Films, in dem die Wächter*innen bei einem gewaltigen Sturm ihre Netze und somit die Hoffnung auf ein wenig frischen Fisch verlieren, einen Actionfilm erwartet, der hofft vergeblich. Rasch wird deutlich, dass es sich eher um einen psychologischen Thriller handelt, der zuweilen an das beklemmende Drama «Das Boot» von Wolfgang Petersen erinnert.

Wir schreiben das Jahr 2063. Die Menschheit hat es verbockt, wie einer der Protagonist*innen es einmal zusammenfasst. Die immensen Eismassen der Antarktis, Grönlands und der Arktis sind geschmolzen und die Erde ist fast vollständig von Wasser bedeckt. Nur zwei kleine Kontinente sind übrig geblieben, die unsinnigerweise auch noch Krieg gegeneinander führen. Umgeben von Wasser, soweit das Auge reicht, verrichten vier Freiwillige auf einem völlig isolierten Militärposten ihren Dienst. Gedreht wurde übrigens auf den Maunsell Forts – imposanten Eisen-Bohrtürmen in der Themsemündung vor der Küste Englands. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie zur Verteidigung errichtet. Diese Türme, die 2013 auch schon einmal in einem Teil der «Die Tribute von Panem»-Verfilmungen zu sehen waren, würden auch jedem Mad-Max-Film gut zu Gesicht stehen.

Bereits über zwei Jahre harren der verschlossene Corporal Cassidy (Kate Bosworth), der offenherzige Sullivan («Emily in Paris»-Star Lucien Laviscount), der autoritäre Sergeant Hendrichs (der deutsche Schauspieler Thomas Kretschmann, der vor Kurzem noch im letzten «Indiana Jones»-Film zu sehen war) und der Technikfreak Baines (Martin McCann) schon auf der Plattform aus. Die vier bewachen eine Atombombe, die sie «Martha» getauft haben. Obwohl sie nicht sprechen kann, muss man unweigerlich an den außer Kontrolle geratenen Bordcomputer HAL aus Kubricks Film «2001 – Odyssee im Weltraum» denken. Allerdings haben nur Cass, wie alle den Corporal nennen, und Sergeant Hendrichs einen Schlüssel, um die Bombe im Ernstfall gemeinsam zu starten.

Immer wieder versucht die Mannschaft vergeblich ihre Ablösung zu erreichen, doch die Funksprüche laufen ins Leere und niemand kommt. Allmählich wird der Proviant knapp und die Stimmung immer angespannter. Gibt es ihre Heimat überhaupt noch? Oder ist das Meer noch weiter angestiegen und hat auch die letzten beiden verbliebenen Landmassen verschluckt? Paranoia macht sich breit, und zwischen den Wächter*innen bricht immer öfter Streit aus. Doch dann taucht ein Schiff am Horizont auf: Feind oder Freund? Sullivan macht sich in einem kleinen Boot auf den Weg, um dies zu überprüfen. Als er sich nach einiger Zeit nicht zurückmeldet, ordnet der befehlstreue Sergeant Hendrichs an, die Waffe auf ihn und das mysteriöse Boot abzufeuern.

Wer nun doch noch einmal auf die große Action hofft, wird wieder enttäuscht werden. Stattdessen fechten die auf dem Wachposten Gestrandeten teilweise zermürbende, innere Kämpfe mit sich aus, über die man zu wenig erfährt. Jeder der Charaktere hat so seine Geheimnisse, die nur zum Teil enthüllt werden.

Das ist alles leider zu langatmig erzählt. Ein paar mutige Kürzungen hier und da, aber auch mehr Hintergrundwissen zu den einzelnen Figuren hätten der Charakterstudie in Endzeitatmosphäre gut getan. Auch die überraschende Wendung gegen Ende lässt leider ein paar Fragen zu viel offen. Dennoch ist «Last Contact» ein atmosphärisch dichter, postapokalyptischer Science-Fiction-Film, der noch eigenartig nachhallt – man darf auf jeden Fall gespannt auf den nächsten Film dieses Regisseurs sein. Und seiner leisen, aber eindringlichen Botschaft, dass die Menschen sich ändern müssen, wenn sie das Ruder noch einmal herumreißen möchten, kann man in diesen vom Klimawandel bereits gezeichneten Tagen nur ausdrücklich zustimmen.

Foto (c) Kick Film Gmbh

„Last Contact“ in nd / Juli 2023