Foto (c) Proton Cinema/Match Factory Productions/KNM
Einfach davonschweben
Spektakuläre Action und Kritik an Ungarns Regierung: das Mystery-Drama »Jupiter’s Moon«
Der Regisseur Kornél Mundruczó ist bekannt für Actionszenen und exzentrische Sozialkritik an seiner zunehmend restriktiven Heimat Ungarn. In seinem 2014 in Cannes mit dem Prix Un Certain Regard (und dem Palm Dog Award) ausgezeichneten Film „Underdog“ ließ er Hunderte von echten, per Gesetz willkürlich ausgegrenzten Mischlingshunden, die sich an dem Mistvieh Mensch rächen wollen, die Straßen Budapests verunsichern. Eine ungewöhnliche filmische Allegorie auf das heutige Ungarn, in dem Minderheiten ebenso verfolgt werden, wie die beeindruckenden Hunde in seinem Drama.
Vier Jahre später kommt nun sein auf 35mm-Filmmaterial gedrehtes Drama „Jupiter’s Moon“ in die Kinos und wieder hat Mundruczóspektakuläre Actionszenen zu bieten. Doch dazu gesellt sich dieses Mal leider recht krude Kritik an der Asylpolitik Ungarns, sowie der seelischen Verwahrlosung und Blindheit der unter restriktiven Umständen lebenden Menschen.
Eigentlich wollte der SF-Fan einen Film über Wunder in Krisenzeiten machen, der in der Zukunft angesiedelt ist. Je weiter sein Projekt jedoch voranschritt, desto weniger konnte er sich vor den aktuellen Entwicklungen in seiner Heimat verschließen, verpflanzte die Geschichte deshalb kurzerhand in der Gegenwart. Doch leider blieb dadurch die Botschaft seines magisch-realistischen Films unklar.
In der beinahe dokumentarisch wirkenden Anfangssequenzfliehen Flüchtlinge nach der illegalen Einreise vor den unbarmherzigen Grenzpolizisten – eine Szene wie sie in der Realität unter der Regierung Viktor Orbáns durchaus auch vorkommt.
Der fiese Leiter des Flüchtlingscamps, László (György Cserhalmi), schießt auf den jungen Syrer Aryan (Zsombor Jéger) und verwundet ihn schwer. Doch statt seinen Verletzungen zu erliegen, stellt Aryan noch unter Schock fest, dass es ihm durch bloße Willenskraft gelingt, wie eine Christusfigur gen Himmel und seinen Peinigern davon zu schweben.
Der aufgrund eines Kunstfehlers vom Dienst suspendierte Arzt Dr. Stern (Merab Ninidze), der ebenso wie viele seiner Landsleute den in Ungarn herrschenden, grenzenlosen Egoismus und die Korruption nicht mehr groß hinterfragt, bekommt von Aryans Gabe Wind und möchte sie zu Geld machen.
Tatsächlich zücken schon bald reiche, religiöse Patienten ihre Scheine, um den wunderverheißenden Aryan schweben zu sehen. So weit, so schräg, aber leider auch recht verwirrend erzählt. Man bekommt zunehmend den Eindruck, dass Mundruczóder spät hinzugenommene Flüchtlingshintergrund der Geschichte ein wenig lästig wurde.
Der knallharte Polizist László bleibt dem engelhaft-feinsinnigen Aryan, über dessen Hintergrundgeschichte man zynischerweise kaum etwas erfährt, sowie dem verdorbenen Dr. Stern hartnäckig auf der Spur. Durch die Begegnung mit der Erlöserfigur macht László – im Gegensatz den meisten anderen Figuren – letztlich eine entscheidende Wandlung durch. Mundruczós Hoffnung stirbt anscheinend zuletzt.
Beeindruckend ist sein Film eigentlich nur visuell: Allein wegen der von Stammkameramann Marcell Rév aufregend gefilmten Plansequenzen und einer sehr ungewöhnlichen Verfolgungsjagd durch die Straßen Budapests lohnt sich der Kinobesuch für jeden Cineasten.
„Ich glaube an die Wiederauferstehung der Nation“, sagt Dr. Stern hoffnungsvoll einmal am Anfang des Sci-Fi-Dramas, das über weite Strecken dann leider doch nur wie eine Arbeit eines zwar hochtalentierten, aber leider überambitionierten Filmhochschülers, der sich schlußendlich gründlich verzettelt hat, wirkt. Wer glaubt, um Menschen die Augen zu öffnen sei nur ein mittelprächtiges Wunder nötig, der befindet sich mit „Jupiter’s Moon“ auf jeden Fall im richtigen Film.