Vive la Révolution!
Johnny Depp ist wieder auf der Leinwand zu sehen – »Jeanne du Barry« von Maïwenn überzeugt jedoch nicht
Ausgerechnet Johnny Depp spielt einen in der Gunst seines Hofstaates durch seinen lasterhaften Lebenswandel gefallenen französischen König? Es ist seine erste Rolle nach der Schlammschlacht und dem Schmierentheater mit Ex-Frau Amber Heard vor Gericht in den USA. Hand aufs Herz – die Besetzung des einstigen Hollywood-Lieblings macht auf jeden Fall neugierig. Und so durfte das Kostümdrama »Jeanne du Barry« der französischen Regisseurin Maïwenn Le Besco, das unter anderem bezeichnenderweise von saudi-arabischen Geldgebern mit einem großzügigen Budget ausgestattet wurde, auch die diesjährigen Filmfestspiele von Cannes eröffnen. Angeblich gab es nach der Vorführung Standing Ovations, was ein aufklärerisches Licht auf das Premierenpublikum wirft.
Frankreich in den 1760er Jahren. Im Schnelldurchlauf – begleitet von einer männlichen – Voice-over-Stimme erfährt man von Jeannes Kindheit und Jugend. Der angestaubte männliche Blick auf die Protagonistin zieht sich leider durch den gesamten Film.Die gleichsam schöne wie intelligente Tochter eines Mönchs und einer Köchin wird letztlich ins Kloster gesteckt. Dort fliegt sie aber als junge Frau wieder raus, da sie den ganzen Tag liest und zudem noch bevorzugt erotische Literatur! Sie hat nun die Wahl zwischen einem entbehrungsreichen Leben wie ihre Mutter – von dem man allerdings im Film nichts mitbekommt – und dem Versuch, als Kurtisane die gesellschaftliche Leiter hinaufzuklettern.
Unverständlicherweise wird die Mittzwanziger-Hauptheldin von der 47-jährigen Regisseurin selbst gespielt. Natürlich nimmt man ihr Jeannes Betörungskünste, die sich ihrer Jugendlichkeit verdanken, nicht ab. Leider ebenso wenig wie ihren angeblich unwiderstehlichen Charme, dem der eigentlich immer rasch gelangweilte König, der schon viele Mätressen hat kommen und gehen sehen, bis an sein Lebensende hoffnungslos verfallen ist.
Doch erst einmal heiratet die in einem Bordell gelandete Jeanne den aufstiegsorientierten Le Comte du Barry (Melville Poupaud), der sie steinalten Lustgreisen wie dem Le Duc de Richelieu (Pierre Richard) zuführt. So weit, so widerlich. Doch das Mitgefühl für Jeanne hält sich in Grenzen, was eindeutig auch am Drehbuch liegt, das die Regisseurin selbst verfasst und mit Teddy Lussi-Modeste und Nicolas Livecci noch einmal überarbeitet hat. Dabei hatte Maïwenn doch angeblich von dem Moment an, als sie 2006 Sofia Coppolas »Marie Antoinette« sah, das überwältigende Bedürfnis, die Geschichte von Jeanne – eine Nebenfigur des damaligen Films – zu erzählen.
Alsbald wird die selbstbewusste Kurtisane also am Hofe von Louis XV. vorgestellt. Gedreht wurde auch – auf prächtigem 35-mm-Filmmaterial – an beeindruckenden Originalschauplätzen in Versailles, was die an Pomp interessierten Zuschauer*in durchaus eine Weile bei der Stange hält. Und auch die von Chanel gesponserten Kostüme sind recht hübsch anzuschauen, doch für ein gelungenes Historiendrama reicht das leider bei Weitem nicht. Vergleichen mit ebenfalls beeindruckend ausgestatteten, gleichzeitig aber tiefsinnigen Kostümfilmen wie beispielsweise Stanley Kubricks »Barry Lyndon« oder Yorgos Lanthimos’ »The Favourite« hält der Film nicht im Geringsten stand.
Doch zurück zu Louis XV.: Unter seinem stark geschminkten und gepuderten Gesicht ist Depp als von Jeanne schwer beeindruckter König nicht besonders gut zu erkennen, geschweige denn seine Mimik, mit der er sich aber sowieso vornehm zurückhält. Die erste Begegnung zwischen Jeanne und dem König ist leider ungefähr so prickelnd wie die zwischen dem geschlechtsteillosen Ken und seiner Barbie im erfolgreichsten Film des Jahres. Vielleicht liegt es daran, dass Depp und Maïwenn sich während der Dreharbeiten ständig gestritten haben sollen. Insgeheim ist man auf jeden Fall heilfroh, dass die »Liebesszenen« bieder inszeniert sind, obwohl das die Glaubwürdigkeit der gegenseitigen Anziehung noch weiter unterwandert.
Doch bevor die ach so rebellische Jeanne dem König »zugeführt« wird, muss sie noch eine gynäkologische Untersuchung, die jedem Horrorfilm gut zu Gesicht stehen würde, recht widerstandslos über sich ergehen lassen. Schon bald kürt der hingerissene Louis XV. die kühne Jeanne, die es wagt, die Hofetikette hier und da ein wenig zu ignorieren, zu seiner Favoritin, was am stocksteifen Hof von Versailles zu Missgunst und Neid führt. Auch seine grässlichen Töchter, eindimensional inszeniert wie die bösen Stiefschwestern aus einem Disney-Film, sind entsetzt und piesacken Jeanne, wo sie nur können. Es gelingt ihnen, auch die blutjunge Marie Antoinette, die an den Hof kommt, um den Dauphin zu heiraten, gegen Jeanne aufzubringen.
Als der König gegen Ende endlich die Pocken bekommt, ist klar, dass Jeannes letztes Stündlein am Hofe geschlagen hat. Fast 20 Jahre später fällt sie in den Wirren der Französischen Revolution als Konterrevolutionärin der Guillotine zum Opfer. Dies erfährt man wieder von der sonor-mitleidvollen Erzählerstimme. Ebenso, dass »der Mohr« – ein Geschenk des Königs –, um den sie sich doch so reizend gekümmert hat, sie verraten habe, was die Zuschauer*in wohl schockieren soll. Tut es aber nicht. Bei aller Verurteilung der Todesstrafe: Vive la Révolution!
Foto (c) Stéphanie Branchu/Why Not Productions