Foto: (c) Kinostar Samuel Arnaud
Der Stolz der Familie Landberg
In Tom Sommerlattes „Im Sommer wohnt er unten“ brilliert ein spielwütiges Ensemble in einer schmerzhaft-komischen Dramödie.
Rivalität zwischen Geschwistern kennt wohl jeder, der welche hat. Tom Sommerlatte, Regisseur der Dramödie „Im Sommer wohnt er unten“, die ihre Premiere bei der diesjährigen Berlinale feierte, ist mit gleich zehn potenziellen Streithähnen aufgewachsen – was man seinem großartig beobachteten und inszenierten Film auch anmerkt. Verwunderlich ist jedoch die Leichtigkeit, mit der der Spielfilmdebütant die Familienaufstellung von zwei Brüdern und ihren Lebensgefährtinnen inszeniert.
Die deutsch-französische Koproduktion, die von Sommerlattes Schwester Iris produziert wurde, spielt in Frankreich. An der dortigen Atlantikküste, im Ferienhaus der gut betuchten Landbergs, wohnt das schwarze Schaf der Familie, Softie Matthias (Sebastian Fräsdorf), samt französischer Freundin Camille (Alice Pehlivanyan) und deren sechsjähriger Sohn Etienne (William Peiro). Camille beschwert sich gerade bei ihrem unreif-laschen Freund darüber, dass sie kein zweites Kind gebrauchen könne, als – eine Woche eher als angekündigt – Matthias‘ älterer Bruder David (Godehard Giese) und seine Frau Lena (Karin Hanczewski) auftauchen.
Ganz rasch macht das Alphatier David klar, wer hier das Sagen hat: Wie der Titel bereits verrät, wird Matthias, der sich im oberen Schlafzimmer des Hauses einquartiert hatte, kurzerhand in den unteren Teil des Hauses verwiesen. Das stört den konfliktscheuen Softie nicht besonders, seine feurige Freundin Camille dafür um so mehr. Doch David geht noch weiter: Neben dem Rasenmähen verlangt er von Matthias, dass Etienne während seiner Anwesenheit zu seinem leiblichen Vater verfrachtet werden muss, damit sich der gestresste Banker in Ruhe entspannen kann. Matthias beugt sich letztlich auch hier dem Diktat des Familienpatriarchen. Schlussendlich beginnt doch ein Konflikt zwischen den Brüdern und auch ihre Beziehungen zu ihren Frauen scheinen (subtil) zu eskalieren. Die Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Lebens- und Wertevorstellungen zwischen den vier „Urlaubern“ wird auch noch durch Sprachbarrieren verstärkt.
Camille beschließt den fiesen Despoten zu provozieren, wo sie nur kann. Sie muss sich aber eingestehen, dass dieser im Gegensatz zu ihrem Partner wenigstens weiß, was er will. Immerhin ist ihr Lebensgefährte der mit Abstand bessere Liebhaber der Familie Landsberg, wie in dem kleinen Sommerhaus deutlich zu vernehmen ist: Der latent impotente David versucht halbherzig seine Frau, die sich sehnlichst ein Kind wünscht, zu begatten. Selten hat man im Kino eine peinlichere „Sexszene“ miterleben müssen. Gelegentlich wirkt die verlogene Bussi-Bussi-alles-tutti-Beziehung der beiden zwar ein wenig überzogen, aber wer kennt sich schon wirklich in den Untiefen erzkonservativer, deutscher Paarbeziehungen aus?
Nach und nach kommen natürlich die von einem hervorragenden und spielfreudigen Ensemble getragenen Lebenslügen an die Oberfläche. Sommerlatte nutzt geschickt die gegebenen Räumlichkeiten – vom Pool, über das Baumhaus bis hin zu Gemeinschaftsräumen und Schlafzimmern des Hauses -, um das mitreißende, sich durch kluge Dialoge auszeichnende Kammerspiel zu intensivieren. Bis David, „der Stolz der Familie Landberg“ den kleinen Landsitz ein wenig geläutert wieder verlässt …
Stimme / Okt. 2015