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Augen auf!
Das Leben schreibt manchmal die besten Geschichten. Peter Farrellys Road- und Buddymovie „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ über den schwarzen Weltklassepianisten Dr. Don Shirley, der zusammen mit seinem weißen Fahrer Tony „Lip“ Vallelonga durch das rassistische Südstaatenamerika der 60er-Jahre reist, ist so ein Fall. Auch wenn nicht alles an dem Film tatsächlich auf wahren Begebenheiten beruht. Zwar war Vallelongas Sohn am Drehbuch beteiligt; Regisseur Farrelly hat es allerdings offenbar versäumt, die Familie des Pianisten zurate zu ziehen, die nun behauptet, Shirley und Vallelonga wären nie wirklich Freunde geworden.
So oder so: „Green Book“ wurde kürzlich mit drei Golden Globes ausgezeichnet (darunter als bester Film) und darf nun auf fünf Oscars hoffen. Und das völlig zu Recht. Denn Regisseur Farrelly ist ein einzigartiger, lehrreicher Film über die Rassentrennung in den USA gelungen, der heute aktuell wie nie ist.
Tony „Lip“ Vallelonga (bravourös verkörpert von dem außerordentlich wandelbaren Viggo Mortensen) wächst in der Bronx auf und schlägt sich als rabiater Türsteher in einem New Yorker Nachtclub durch. Als der Club für längere Zeit wegen Renovierung schließt, muss Tony sich einen neuen Job suchen, um seine Frau Dolores (Linda Cardellini) und seine beiden Söhne durchzubringen. Da trifft es sich gut, dass der hochgebildete Dr. Don Shirley (Mahershala Ali, „Moonlight“) einen Fahrer für seine geplante Tournee durch die Südstaaten sucht.
Tony ist ein gutherziger Prolet, aber auch ein Kind seiner Zeit. Gläser, aus denen zwei schwarze Handwerker getrunken haben, schmeißt er einmal kurzerhand weg. Dennoch bekommt er den Job. Schließlich sind seine herausragenden Qualitäten als Personenschützer Don Shirley zu Ohren gekommen – und die wird der Musiker als schwarzer Mann in den rassistischen Südstaaten dringend brauchen.
Da es an ihren Reisezielen kaum Orte gibt, wo Schwarze willkommen sind, händigt man Tony am Anfang der Tour das titelgebende, auffällig dünne „Green Book“ aus, in dem Unterkunftsmöglichkeiten für Schwarze verzeichnet sind. Während der Fahrt kommen sich das verfressene Plappermaul Tony und sein zurückhaltender Chef in der Limousine ganz allmählich näher. Während Tony den Pianisten mit zu Kentucky Fried Chicken nimmt und ihm die Musik von Aretha Franklin und Chuck Berry näher bringt, hilft Shirley seinem Fahrer schon bald beim Verfassen von Liebesbriefen an dessen Frau.
Doch gegen den allgegenwärtigen Rassismus, der dem Zuschauer die Haare zu Berge stehen lässt, kann Tony nicht viel ausrichten: Einmal wird sein zuweilen uneinsichtiger Chef verprügelt, weil er sich in einer Bar für Weiße einen Drink genehmigt, dann wieder werden beide verhaftet, weil sie nachts auf der Straße unterwegs sind. Schwarzen war das damals nicht erlaubt.
Es ist erstaunlich, was Regisseur Farrelly, der gemeinsam mit seinem Bruder Bobby für recht derbe Komödien wie „Dumm und dümmer“ und „Verrückt nach Mary“ verantwortlich ist, mit seinem Solodebüt gelingt: „Green Book“ wirkt nie kitschig, sondern geht einfach nur zu Herzen. Auch Komik und ernste Töne stehen in einem perfekt ausgewogenen Verhältnis.
Gebannt folgt man bis zum süßen Ende den zwar recht vorhersehbaren, aber dennoch mitreißenden Erlebnissen der ungleichen Männer. Mahershala Ali gelingt es dabei hervorragend, das Charisma des stolz-verletzlichen Pianisten zu verkörpern. „Augen auf!“ ermahnt der von ihm gespielt Shirley stets Quasselstrippe Toni, wenn der beim Fahren wieder seinen Blick nach hinten wendet. „Augen auf!“ – und auf keinen Fall verpassen, möchte man allen ans Herz legen, denn „Green Book“ gehört schon jetzt zu den besten Filmen des noch jungen Jahres.