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Foto: (c) Fox Searchlight

Bollwerk gegen Fantasielosigkeit

Der smarte Concierge Gustave (Ralph Fiennes) braucht in Wes Andersons überaus vergnüglichem Film „Grand Budapest Hotel“ letztlich zum Überleben nicht viel mehr als sein Parfüm „L’Air de Panache“ (deutsch für Eleganz, Schwung). So wie er dazu neigt, gelegentlich ein wenig zu viel davon aufzutragen, tendiert sein überaus smarter Schöpfer Anderson („The Royal Tenenbaums“, „Moonrise Kingdom“) dazu, den Zuschauer mit seiner unglaublichen Fülle an Drehbuch- und Ausstattungsideen zu überfordern. Doch wenn der Vorhang gefallen ist, steht eines fest: Als Wundermittel gegen fantasieloses Blockbusterkino kann man sich nichts Besseres wünschen als einen Film von Wes Anderson. Was ihm bei der diesjährigen Berlinale zu Recht den Großen Preis der Jury einbrachte.

Inspiriert von den Romanen des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig erschuf Anderson die fiktive osteuropäische Republik Zubrowka. Dreh- und Angelpunkt seiner in mehreren Zeitebenen angesiedelten, äußerst kunstvoll verschachtelten Tragikkomödie ist das titelgebende „Grand Budapest Hotel“, das in dem Kurort Nebelsbad thront und nur mit einer herrlich skurrilen Zahnradbahn zu erreichen ist. Dort, auf diesem Zauberberg, hält der Concierge Monsieur Gustave alle Fäden in der Hand und liest seinen exzentrischen Gästen wirklich jeden Wunsch von den Augen ab. Auch das sexuelle Beglücken von in die Jahre gekommenen Damen, wie der von Tilda Swinton hinreißend gespielten schrullig-mondänen Madame D., gehört für den bisexuellen Concierge ganz selbstverständlich zu seinem Aufgabenbereich.

Die steinreiche alte Dame hinterlässt ihm aus Dankbarkeit nach ihrem Tod das millionenschwere Renaissance-Gemälde „Junge mit Apfel“, was ihrer barbarischen Familie, allen voran Sohn Dmitri Desgoffe-und-Taxis (Adrien Brody) überhaupt nicht gefällt. Gemeinsam mit seinem Zögling, dem Lobby Boy Zero (Tony Revolori), entwendet Monsieur Gustave nach der Testamentseröffnung kurzerhand das Gemälde, das für den zivilisierten Mann selbstverständlich von unschätzbarem Wert ist.

„Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen“ sagt ein Schriftsteller (Jude Law) in ulkigem Deutsch in einer der Rahmenhandlungen, als der geheimnisumwitterte, gealterte Zero (F. Murray Abraham) sich anschickt, beim gemeinsamen Dinner in dem mittlerweile heruntergekommenen Hotel seinem Zuhörer dieses slapstickreiche Abenteuer en detail zu erzählen. Im Folgenden wird dieser Bogen nun ständig überspannt, reißt aber wundersamerweise nie.

In fünf Kapiteln voller atemberaubenden Kamerafahrten, Formatwechseln und schwindelerregenden vertikalen Schwenks schlittert der Zuschauer gemeinsam mit den sympathischen Helden in absurdeste Begegnungen, zum Beispiel mit der „Zig-Zag-Brigade“, die den Sturmtrupps der Nazis nachempfunden ist. Ob beim klassischen Gefängnisausbruch oder bei einer spektakulären Andersonschen Ski-Schlitten-Verfolgungsjagd, stets bewahren der distinguierte Monsieur Gustave und sein treuer Lobby Boy Stil, Anstand und Würde – was im krassen Gegensatz zu der Brutalität der Repräsentanten des heraufdräuenden Zeitalters des Faschismus steht.

„In Wahrheit war seine Welt schon verschwunden, lange bevor er sie betreten hatte“, heißt es gegen Ende des Films über Monsieur Gustave. Das Gleiche gilt wohl auch für seinen stilvollen und sinnesfreudigen Regisseur Wes Anderson, der mit seinem achten Film seinem Bollwerk gegen die allgegenwärtige Fantasie- und Geschmacklosigkeit einen weiteren großartigen Mauerstein hinzugefügt hat.

Gabriele Summen

„Grand Budapest Hotel“ Radio Köln März 2014