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Foto (c) SquareOne Entertainment

Eine fantastische Durchschnittsfrau

Von „Manche mögen’s heiß“ bis hin zu „Mein Bester & Ich“: Hollywood hat eine lange Tradition, ausländische Filme für den heimischen Markt zu adaptieren. Doch nicht immer kommt die kommerziell meist erfolgreichere US-Verfilmung an den Charme des Originals heran oder bereichert den Stoff durch eine frische Interpretation. Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio, dessen Film „Gloria“ und seine hinreißende Hauptdarstellerin Paulina García 2013 die Herzen des Publikums im Sturm eroberten, scheint sich dieser Problematik bewusst gewesen zu sein – und verfilmte das US-Remake lieber gleich selbst.

Befragt nach seinen Beweggründen, gab Lelio (er gewann 2018 den Auslandsoscar für „Eine fantastische Frau“) zu Protokoll, dass ihn hauptsächlich seine Bewunderung für die Ausnahmeschauspielerin Julianne Moore zu diesem Schritt bewogen habe. Und schon nach wenigen Filmminuten stellt man erleichtert fest: Da haben tatsächlich zwei zusammengefunden, die zusammengehören.

„Wenn die Welt untergeht, sterbe ich hoffentlich tanzend“, sagt die von Moore großartig verkörperte Gloria Bell einmal. Ihre Tage verbringt die geschiedene Mittfünfzigerin und alleinlebende Mutter von zwei erwachsenen Kindern mit einem langweiligen Bürojob, nach Feierabend geht sie zur Lachtherapie oder auch mal zum Yoga-Kurs ihrer Tochter. Am liebsten aber singt sie in ihrem Auto lauthals 80er-Jahre-Discoschlager mit – im Original grölte Gloria hauptsächlich lateinamerikanische Gassenhauer, die den Film ebenso takteten. Nachts lebt sich diese hinreißende Heldin des Alltags, die die Kamera von Denis Noyes und Ken Lehn während des ganzen Films nicht aus den Augen lässt, auf Ü-50-Discoveranstaltungen aus. Statt in Santiago, wie im Original, öffnet sich Gloria nun in Los Angeles auf der Tanzfläche für ein mögliches spätes Liebesglück.

Spätes Liebesglück in L. A.

Und tatsächlich lernt Gloria eines Abends den frisch geschiedenen Arnold (John Turturro) kennen. Es knistert von Anfang an zwischen den beiden, was man den Darstellern dank ihres atemberaubend nuancenreichen und zurückgenommenen Spiels sofort abnimmt. Während Gloria einen entspannten Umgang mit ihrem Ex-Mann Dustin (Brad Garrett) und ihren erwachsenen Kindern pflegt, ist der ehemalige Marine Arnold seiner Frau und seinen Töchtern immer noch hörig, was der Romanze zwischen ihm und Gloria zunehmend im Wege steht. Nicht nur, dass er ständig ans Handy geht, wenn seine Familie anruft – auch lässt er Gloria immer wieder in den unmöglichsten Situationen einfach sitzen. Gloria muss sich entscheiden: Findet sie sich damit ab, das fünfte Rad am Wagen zu sein – oder lässt sie ihre womöglich letzte Chance auf ein spätes Liebesglück wieder sausen?

Vergleicht man Original und Remake, dann fällt auf, dass Regisseur Lelio die Geschichte seines Films nur unwesentlich dem neuen Setting angepasst und sogar erstaunlich viele Einstellungen und auch etliche Dialoge eins zu eins übernommen hat. Dennoch hat auch das Remake seine Daseinsberechtigung – vor allem wegen der zwar unterschiedlichen, aber gleichermaßen faszinierenden Hauptdarstellerinnen. Während Paulina García ihrer Gloria im Original eine geheimnisvolle Aura gab und den Zuschauer oft rätseln ließ, was sie gerade empfindet, lässt Julianne Moore nun Glorias Verletzlichkeit, die im Gegensatz zu ihrer lebenshungrigen Natur steht, jederzeit aufblitzen. Beide schauspielerischen Höchstleistungen faszinieren auf ihre Weise.

nordbuzz / Aug. 2019