Sterben wie Vögel in Frankreich
Wir kennen es schon: In »Geliebte Köchin« darf Juliette Binoche abermals sinnlich vor sich hin kochen
Den Film »Geliebte Köchin« sollte man sich nicht als Vegetarier*in und auf gar keinen Fall hungrig anschauen. Bereits in den ersten zwanzig Minuten des 136 Minuten langen Streifens läuft einem nämlich dermaßen das Wasser im Mund zusammen, dass man das Kino fluchtartig verlassen müsste, um wenigstens einen Imbiss einzunehmen.
Nachdem man die von Juliette Binoche („Wie im echten Leben„) gewohnt bezaubernd verkörperte Köchin Eugénie im Morgengrauen im Gemüsegarten beim sorgfältigen Pflücken von Kopfsalaten beobachtet hat, sieht man sie auch schon ein schmackhaftes Frühstück zubereiten: Kleine Fischleckerbissen, Omelett, selbstgemachte Konfitüren, frische Milch und Käse sind nur einige der Leckereien, mit denen der Gutsherr und Gastronom Dodin Bouffant (Benoît Magimel) und die von ihm verehrte und geliebte Köchin ihren Tag beginnen.
Danach beginnt der meditative Kochmarathon für das Mittagessen, der von Kameramann Jonathan Ricquebourg wie ein einzigartiges sinnliches Ballett eingefangen wird. Zwischen Eugénie, Dodin und dem Dienstmädchen Violette sitzt jeder Handgriff. Sie brauchen kaum ein Wort miteinander zu wechseln. Auch Violettes überaus kochbegabte Nichte Pauline (Sarah Adler), die an diesem Morgen zugegen ist, fügt sich nahtlos ein in diese Choreographie der hingebungsvollen Zubereitung der Mahlzeiten. Die kulinarischen Köstlichkeiten wurden übrigens von Sternekoch Pierre Gagnaire kreiert, der in einer Nebenrolle auch den Küchenchef des Prinzen von Eurasien spielt.
In der sonnendurchfluteten Landhausküche dampfen und klirren die alten Kupfertöpfe, es wird gerührt, geschnibbelt, angebraten, gemörsert, gerupft und Butter geklärt – zwischendurch wäscht Violette den Salat draußen im klaren Brunnenwasser, während im Hintergrund ein Pfau schreit. Soweit, so überaus sinnlich. Dennoch bekommt man im Verlaufe des Films Magengrummeln, das nicht vom Essen kommt.
Das Historiendrama von Trần Anh Hùn, der 1993 für sein Regiedebüt »Der Duft der grünen Papaya« die Goldene Kamera in Cannes bekam, spielt im Jahr 1885. Das Drehbuch beruht auf dem 1924 erschienen Roman von Marcel Rouff, der so erfolgreich war, dass viele Dodin Bouffant für einen echten Gastronomen hielten.
Der »Napoleon der Kochkunst«, wie Dodin auch genannt wird, ist seit zwanzig Jahren verliebt in seine Untergebene Eugénie, die seine Heiratsanträge zwar bislang abgewehrt hat, aber ab und an ihre Zimmertür unabgesperrt lässt, damit der Hausherr sie zum Dessert vernaschen kann.
Während Dodin mit seiner ausschließlich männlichen Entourage im herrschaftlichen Esszimmer einen Gang nach dem anderen verputzt, speist Eugénie in der Küche. Zwar wird sie einmal von den Herren an ihren Tisch eingeladen, doch sie wiegelt bescheiden ab: »Ich spreche mit ihnen durch das, was sie essen.« Ein Satz, der aufgrund der romantisierenden Darstellung von Rollenklischees und Klassenhierarchien, durchaus Bauchschmerzen verursacht.
Auch die Kommentare der Herren bei Tisch über das Essen grenzen zeitweilig an Realsatire. Erstaunlich auch, dass sie trotz der täglichen Völlerei erstaunlich normalgwichtig sind. Allerdings muss man Trần Anh Hùn zugute halten, dass die Feinschmecker immer wieder auch schweigend genießen und wahre Worte sprechen, beispielsweise: »Die Entdeckung eines neuen Gerichts bringt der Menschheit mehr Freude als die Entdeckung eines neuen Sterns.«
Doch die Landlust-Idylle bekommt allmählich Risse durch sich wiederholende Schwächeanfälle Eugénies. Dodin beschließt für sie zu kochen, damit sie wieder zu Kräften kommt.
Die Köchin wechselt an den noblen Esstisch, und als ihr Verehrer sie bittet, ihr beim Essen zusehen zu dürfen, hat das durchaus eine erotische Note, obwohl die Liebesbeziehung zwischen den beiden jenseits der Kochtöpfe nicht wirklich Funken sprüht.
Dodin probierte es noch einmal und serviert seiner Angebeteten in einem luftigen Blätterteig-Kunstwerk einen Ehering – und Eugénie nimmt seinen Antrag endlich an. Glückselig, wer über solche Szenen all die Kriege, Krisen und Konflikte dieser Welt vergessen kann. Der Jury in Cannes schien es so zu gehen, denn sie zeichnete das Historiendrama 2023 mit dem Preis für die beste Regie aus.
Endgültig der Appetit vergehen kann einem jedoch, wenn man das Rezept eines mysteriösen Gerichts nachschlägt, das Dodins Freund einmal seinen Mitessern serviert: Gegrillter Ortolan – routiniert verschwinden die Köpfe der Feinschmecker unter einer edlen Baumwollserviette, damit sie den Duft besser einatmen können.
Bei dem dampfenden Gericht handelt es sich allerdings um einen mittlerweile geschützten Singvogel, den man im Dunkeln oder nach Entfernen seiner Augen 14 Tage lang mästet und anschließend in Armagnac ertränkt. Sterben wie Vögel in Frankreich. Im Film wurden stattdessen wohl Wachteln verwendet. In wohlhabenden Kreisen ist der Verzehr der echten Delikatesse jedoch weiterhin verbreitet.
Dennoch macht dieses Historiendrama insgesamt einen Höllenappetit – man darf nur nicht den Fehler begehen, einzelne Rezepte nachzuschlagen.
Foto: Carole Bethuel