F

Foto (c) Pandora

Die Flut wächst

Im Kino: »Gegen den Strom«, ein unkonventioneller Ökothriller voller absurder Komik

Spätestens in diesem Jahr, das nicht nur eines der heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war, sondern auch jede Menge andere Witterungsextreme zu bieten hatte, sollte jeder begriffen haben, dass wir die letzte Generation sind, die noch etwas gegen den Klimawandel unternehmen kann. Doch Länder wie beispielsweise die USA steigen stattdessen stupiderweise aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aus, und auch Brasiliens frisch gewählter rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro spielt mit dem Gedanken, es zu kündigen, und will zudem den Amazonas zur wirtschaftlichen Ausbeutung freigeben. Auch Deutschland wird seine sogenannten Klimaziele für 2020 verfehlen – und setzt weiter auf Braunkohle.

Als Einzelner fühlt man sich ohnmächtig gegen so viel geballte Dummheit und Borniertheit. Nicht so jedoch Halla (spielt mit vollem Körpereinsatz: Halldóra Geirharosdóttir), die sympathische Heldin des mit absurder Komik gespickten, unkonventionellen Ökothrillers „Gegen den Strom“ von Benedikt Erlingsson.

Tagsüber ist Halla eine freundliche Fünfzigjährige, die einen Chor leitet, Tai Chi praktiziert und mit ihrer eineiigen Zwillingsschwester Asa (die auch von Geirharðsdóttir gespielt wird), Schwimmen geht. 

Nachts aber verwandelt sie sich in eine Amazone, die im Laufschritt durch die von Kameramann Bergsteinn Björgúlfsson atemberaubend eingefangene isländische Berglandschaft streift und mit Pfeil, Bogen und Drahtseil riesige Strommasten außer Kraft setzt. Damit fügt sie der isländischen Aluminumindustrie erheblichen Schaden zu und hofft so auch chinesische Geschäftsmänner, die sich bereits auf der Insel befinden und in den weiteren Raubbau am isländischen Ökosystem investieren wollen, abschrecken zu können.

Den gewieften Politikern gelingt es – nicht zuletzt mit dem ewigen Totschlagargument, ein Terrorist haben den Arbeitern den Krieg erklärt – mehr und mehr die Öffentlichkeit gegen die selbsternannte „Bergfrau“ aufzubringen.

Der Zuschauer indes fiebert mit Halla, die nach ihren Sabotageakten durch die einsame Landschaft flüchten muss, verfolgt von Helikoptern und Drohnen. Diese hervorragend gefilmte Sequenzen lassen lassen unweigerlich an die berühmte „Maisfeldszene“ aus Hitchcock’s Thriller „Der unsichtbare Dritte“ denken – und stehen ihr an Spannung nichts nach. 

Nur stand bei Cary Grant keine dreiköpfige Band im Hintergrund, die wie der griechische Chor im Theater live die passende Filmmusik zu diesen Szenen einspielt – ein herrlich absurder Drehbucheinfall, der den vielschichtigen Thriller durchzieht. 

Später wird die kleine Blaskapelle hin und wieder von drei ukrainische Sängerinnen vertreten, denn neue Töne – ebenfalls komponiert vonDavíð Þór Jónsson, der auch schon bei Erlingssons Film„Von Menschen und Pferden“ für den Score sorgte – schleichen sich in Hallas Chor der „Seelenstimmen“: Ausgerechnet jetzt bekommt die moralisch hoch integere Frau nämlich von der Adoptionsbehörde doch noch ein ukrainisches Waisenmädchen zugewiesen, doch statt sich wie in einem ZDF-Abendfilm nun für die Mutterschaft und gegen den Ökoterrorismus zu entscheiden, kämpft sie fortan für beides. 

Als Running Gag und bitterkomischer Rassismuskommentar in diesem vielschichtigen Film wird wieder und wieder ein spanischer Tourist verhaftet, der das Pech hat sich zufällig immer in der Nähe von Hallas Aktionsradius aufzuhalten. 

Ein cleverer, feministischer Sister Act und ein kraftvolles Schlussbild, dass uns die Folgen des Klimawandels noch einmal eindringlich vor Augen führt, runden diesen in vielerlei Hinsicht herausragenden, mitreißenden Film ab.

„Gegen den Strom“ in nd von Dez. 2018