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Ausverkauf des Flüchtlingselends
Filme mit Flüchtlingsthematik stehen aktuell zu Recht hoch im Kurs, gilt es doch, eines der drängendsten Probleme unserer Zeit im Fokus zu behalten. Auch Ken Scott („Starbuck“) versucht in seinem seichten Märchenfilm „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ noch irgendwie ein paar bemitleidenswerte Flüchtlinge unterzubringen, was beim Zuschauer einen sehr unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt. Sein Film beruht auf dem beinahe gleichnamigen Verkaufserfolg des französischen Schriftstellers Romain Puértolas, bei dem der Fakir im Titel jedoch ausdrücklich in einem Ikea-Schrank feststeckte.
In dem Film des kanadischen Regisseurs begibt sich Straßenkünstler Aja (Dhanush, ein Star des tamilischen Tollywood- und Bollywood-Kinos in seinem englischsprachigen Debüt) auf eine unglaubliche, leider aber sehr klischeehafte Reise um die halbe Welt, die er rückblickend und geläutert straffällig gewordenen Straßenkindern erzählt: Aja wächst wie sie in den schöngefärbten, indischen Slums in Rajasthan bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, die ihm partout nicht verraten will, wer sein Erzeuger ist.
Als sie stirbt, entdeckt Aja eine Kiste mit Liebesbriefen, die ihn auf der Suche nach seinem Vater in die Traumstadt der Mutter führt: Paris. Dort lässt er sich zuerst von dem betrügerischen Taxifahrer Gustave (Gérard Jugnot) zu dem berühmten schwedischen Einrichtungshaus fahren. Davon träumt er schon, seit er als kleiner Junge zum ersten Mal einen der unglaublichen Kataloge in die Hände bekommen hat. So weit, so hanebüchen – was allerdings in dem Genre der märchenhaften Komödie, in dem sich der Film bewegen möchte, durchaus erlaubt wäre.
Im Möbelladen verliebt Aja sich auf der Stelle unsterblich in die schöne Amerikanerin Marie (Erin Moriaty) – doch zum vereinbarten Treffen am nächsten Tag am Eiffelturm kommt es nicht. Aus Geldmangel verbringt Aja die Nacht in dem titelgebenden Kleiderschrank, der, wie der Zufall es will, nach England transportiert wird, inklusive dem sich darin befindlichen Aja.
Während der Fahrt im Lastwagen lernt er den somalischen Flüchtling Wiraj (der für „Captain Phillips“ oscarnominierte Barkhad Abdi) und seine Freunde kennen, die ihm ihre herzzerreißende Geschichte erzählen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt vergeht dem Zuschauer das burleske Lachen. Bevor er die neuen Bekannten im – wie alle Settings des Films – bonbonfarbenen Libyen wiedertreffen wird, hat Aja noch eine bemühte Culture-Clash-Reise zu absolvieren, die ihn nach Spanien und Rom führt. Dort lernt er die von ihrer Berühmtheit gelangweilte Nelly (die für „The Artist“ oscarnominierte Bérénice Bejo in einer schrecklich belanglosen Rolle) kennen, mit der er die unumgängliche Bollywood-Tanznummer absolviert, die man schon viele Male spektakulärer gesehen hat.
Als harmloser, quietschbunter Unterhaltungsfilm hätte Scotts Verfilmung womöglich noch funktionieren können, doch die ausnahmslos hohlen Charaktere und die aufgesetzte Flüchtlingsthematik verursachen beim Zuschauen solche Wut, dass man am liebsten seine Billy-Regale zertrümmern möchte.
Mittelbayerische / Nov. 2018