Foto: (c) 2017 Daisy Gilardini / Wild Bunch Germany
Kinder des Ozeans
Oscargewinner Luc Jacquet erzählt erneut von der faszinierenden Spezies der bedrohten Kaiserpinguine.
Es scheint das Jahr der Doku-Fortsetzungen zu sein: Nachdem Al Gore in „Immer noch eine unbequeme Wahrheit – Unsere Zeit läuft“ im August einen zweiten Versuch unternahm, dem Kinopublikum die Folgen des Klimawandels aufzuzeigen, bekommt mit „Die Reise der Pinguine 2“ ein anderer oscarprämierter Dokumentarfilm eine Fortsetzung. Aus zwei Gründen wollte der französische Antarktisforscher und Filmemacher Luc Jacquet einen weiteren Film über Kaiserpinguine drehen: zum einen, weil sich die Kameratechnik in zwölf Jahren unglaublich weiterentwickelt hat. Zum anderen, weil seine schwarzweißen Studienobjekte seit 2016 auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen.
Dieses Mal verfolgen Jacquet und sein Team eine spezielle Pinguinfamilie vom „Kennenlernen“ der Eltern bis hin zur Aufzucht ihres Kükens und dessen erste eigene Schritte in das Leben eines erwachsenen Pinguins. Allerdings wird diese Geschichte nicht chronologisch erzählt, was dramaturgisch ein wenig ungünstig ist: Die ständigen Rückblenden verhindern leider lange, dass man vollends in den Erzählfluss hineingesogen wird. Erst gegen Ende, wenn das Pinguinjunge sich gemeinsam mit seinen Artgenossen instinktiv auf den beschwerlichen Weg zum Meer macht, dass er noch nie zuvor gesehen hat, stockt dem Zuschauer gänzlich der Atem.
Ein einzelner Sprecher – und nicht wie im ersten Teil der deutschen Fassung mehrere Stimmen, die die Pinguine arg vermenschlichten – macht das Publikum recht sachlich mit einem erfahrenen, bereits 40 Jahre alten Pinguin bekannt. Udo Wachtveitl, bekannt als Münchner „Tatort“-Kommissar, berichtet aus dem Off von diesem Pinguin, der zu Beginn in der unübersichtlichen Kolonie seinen Nachwuchs wiederfinden muss. Erleichtert atmet man auf, als er es endlich entdeckt hat. Nun gilt es, von seiner geschwächten Gefährtin, die vier Monate nichts gefressen hat, das empfindliche Ei zu übernehmen, damit diese zum Meer gehen und sich wieder sättigen kann.
Was für ein Mysterium bereits das Kennenlernen der Eltern ist! Niemand weiß, warum sich zwei Pinguine zueinander hingezogen fühlen. Magisch, wie sie gemeinsam tanzen und sich aufeinander einstimmen, bevor sie zur Zeugung schreiten. Als wüssten sie, dass nur ihre perfekte, selbstlose Zusammenarbeit ihrem künftigen Pinguinkind den Hauch einer Chance gibt zu überleben. 50 Prozent aller Jungtiere sterben bereits in den ersten Monaten. Eisspalten, der unerbittliche Wind, Kälte und nicht zuletzt der Riesensturmvogel gefährden das junge Leben.
Atemberaubende Aufnahmen, die mithilfe von Drohnen, realitätstreuen 4K-Kameras und Tauchbooten gedreht wurden, geben neue Einblicke in die schützenswerte Welt dieser unglaublichen Lebewesen. Vor allem unter Wasser: Hier ist dieses faszinierende Geschöpf, das bis zu 600 Meter tief tauchen kann, in seinem Element. So zittert man förmlich am Ende des Films mit den Jungpinguinen, die nach ihrem erschöpfenden Marsch tagelang am Meeresrand stehen und sich nicht hineinwagen, dass sie den Sprung in ihre wahre Bestimmung doch riskieren mögen.
Nicht mit dem Holzhammer, sondern nur mithilfe zarter Flaumfedern warnt Luc Jacquet ganz nebenbei vor dem Klimawandel: So erfährt man etwa, dass die unter unsäglichen Entbehrungen der Eltern in der lebensfeindlichen Antarktis aufgezogenen kleinen Pinguine kaum Überlebenschancen haben, wenn im Frühjahr das Eis zu früh schmilzt – weil sie dann ihr wasserdichtes Federkleid noch nicht bekommen haben. Und genau da ist das Eingreifen der menschlichen Spezies gefragt, die weiterhin alles versuchen muss, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.
Stimme / Nov. 2017