F

Foto: (c) DCM

Die Tribute von Panem ohne Tote

Detlev Buck reift mit dem dritten „Bibi & Tina“-Film langsam zum Kinderfilmexperten. Im Interview gewährt er einen Einblick in diese herausfordernde Arbeit.

Das altehrwürdige Caféhaus „Einstein“ in Berlin. Ein Interview-Tag mit Detlev Buck, der zu seinem neuesten „Bibi und Tina“-Streich Stellung nimmt. Es geht Schlag auf Schlag, nach dem Interview wird Buck die drängelnde Promoterin fragen, ob es denn jetzt endlich Mittagessen gibt – das er sich wahrlich redlich verdient hat. Für diesen geerdeten norddeutschen Charme, den er schon so wunderbar in seine mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Figur des Karl bei „Herr Lehmann“ einbrachte, lieben den 53-jährigen Regisseur mittlerweile mindestens ebenso viele Kinder wie Erwachsene.

teleschau: Ihre „Bibi und Tina“-Filme kommen anders als andere Kinderfilme ohne moralische Botschaften aus und überraschen eher als kunterbunte Popdramen für die ganze Familie. Wie kamen sie darauf, das so umzusetzen?

Detlev Buck: Erst einmal ist Musik wichtig für junge Menschen. Und für mich ist es wichtig, dass es mir während der Dreharbeiten nicht selbst langweilig wird. Warum soll ich mich denn beim Dreh disziplinieren, obwohl ich alles fad finde – und ich tu dann auch noch so, als ob es mich freuen würde. Das kann ich nicht. Also entweder ich finde das selbst geil oder es muss jemand anderes machen.

teleschau: Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Ex-Rosenstolz-Musiker Peter Plate?

Buck: Die Filme sind ja wie ein Musical inszeniert und die Songs selbst über den Film hinaus extrem erfolgreich. Ich wollte Songs haben wie in „Glee“. Das ist eine amerikanische Serie, die ich sehr mochte, die fand ich sehr frech und frisch. Und da Peter, Daniel und Ulf sich als Produzententeam ja nach dem Split von Rosenstolz auch neu definierten, kam man halt zusammen.

teleschau: Ist Anna R. nicht ein bisschen neidisch auf den Erfolg der „Bibi und Tina“-Soundtracks?

Buck: Anna bin ich nie begegnet! Beide haben ja nach der Trennung ihre Soloplatte gemacht, was nicht so richtig lief. Dann haben sich Peter und sein Team darauf konzentriert, sehr viel für andere zu produzieren, zum Beispiel für Sarah Connor oder Annett Louisan. Sie haben dafür ein ganz besonderes Fingerspitzengefühl.

teleschau: An welchem Punkt der Stoffentwicklung kommen die Songschreiber ins Spiel?

Buck: Wenn wir das Drehbuch haben, dann reden wir miteinander, und ich sage, wo ich Möglichkeiten für einen Song sehe – und gebe auch die Inhalte teilweise mit: „An dieser Stelle hat Bibi eine Krise und denkt darüber nach, wer sie eigentlich ist“ und so weiter …

teleschau: Was ist Ihr persönlicher Songfavorit des dritten Teils?

Buck: Alle sagen „Mädchen gegen Jungs“, aber ich finde „Der beste Sommer“ auch sehr schön. Ich mag aber auch, wenn Bibi im „Happy Song“ darüber nachdenkt, wie es gewesen ist, als sie klein war. Jeder Erwachsene erinnert sich an diese Zeit: Plötzlich ist man ein Teenager, so ein Zwischending …

teleschau: Ein schlauer Schachzug den dritten Teil „Mädchen gegen Jungs“ zu nennen – vor allem um den Jungs die Peinlichkeit zu nehmen, dass sie eigentlich auch ganz gerne „Bibi und Tina“ anschauen. Glauben Sie wirklich, dass es heute noch so große Unterschiede gibt zwischen Mädchen und Jungs?

Buck: In „Mädchen gegen Jungs“ geht es ja eigentlich um einen Wettbewerb – und das Thema, ob eine Frau die gleiche Leistung wie ein Mann bringen kann, ist doch noch lange nicht durch. Ganz im Gegenteil: Es ist ja immer noch so, dass es beispielsweise in DAX-Unternehmen meines Wissens nur fünf Prozent weibliche CEOs gibt – und der Rest sind Männer! Gewalt gegen Frauen ist in dem Film auch drin, Bibi wird von Urs gegen ihren Willen geküsst – und ist komplett machtlos danach. Dass sie damit umgeht und Urs in dem Moment ja dann auch alles verliert, gesellschaftlich isoliert wird und es eine Katastrophe am Ende gibt – bis er endlich einsieht, dass er auf dem Holzweg ist: Das ist ja eigentlich der Bogen darin. So etwas können und sollten durchaus auch Kinder konsumieren. Letztlich darf man nicht vergessen: Frauen haben eine ganz andere Art, die Dinge zu sehen, einfach, weil sie auch nachhaltiger denken müssen als die meisten Typen …

teleschau: Wo wir gerade bei Typen sind: Wie kamen sie dazu, Y-Titty-Ironie-Star Philip Laude einzubinden?

Buck: Phil war wirklich der Beste im Casting.

teleschau: Und der hat sich einfach so beworben?

Buck: Nee, ich hab‘ den gesehen, diesen unkomplizierten, frisch erweckten Jungen, der auch sehr aufmerksam ist – und er wollte die Rolle auch unbedingt!

teleschau: Wie schätzen sie eigentlich den Einfluss der neuen Medien auf die Heranwachsenden heutzutage ein? Bibi und Tina scheinen jedenfalls keinen Schaden zu nehmen.

Buck: Das hat natürlich alles einen Riesen-Einfluss. Alle haben Smartphones und die Verbindung zum Netz bestimmt gravierend den Alltag von Jugendlichen – die meisten nehmen doch über 100-mal am Tag ihr Handy in die Hand …

teleschau: Was haben Sie denn heute zuletzt gegoogelt?

Buck: Ich hab heute noch gar nicht gegoogelt, ich habe nur kurz nachgeschaut, wer angerufen hat! Ab und zu stelle ich aber mal was auf Instagram – aber keine Selfies!

teleschau: Es geht ja nicht nur um „Mädchen gegen Jungs“ in Ihrem neuen Streifen, sondern auch um die coolen Stadtnerds aus Berlin gegen die Landpomeranzen. Wo würden Sie denn heute lieber aufwachsen?

Buck: Ich denke durch die sozialen Netzwerke ist es heute tatsächlich so, dass auch viele Kinder in der Provinz genauso an vielen Dingen beteiligt sind wie früher nur die Stadtkinder. Das ist ja wirklich eine komplette Veränderung. Die Kinder auf dem Land sind womöglich noch mehr informiert, weil sie gewisse Dinge kompensieren müssen. Vielleicht gibt es aber in der Provinz dennoch mehr Platz, um die Seele baumeln zu lassen. Definitiv ist jedoch die Verführung der Stadt auf dem Land nicht so stark – Drogenprobleme gibt es hier aber genauso. Aber wo auch immer man aufwächst: Das Teenageralter ist auf jeden Fall das Schwierigste.

teleschau: Sie sind ja nicht nur Regisseur, sondern auch Co-Autor und schreiben das Skript gemeinsam mit Bettina Börgerding. Was war ihre Inspiration, im Film eine Geocaching-Schatzsuche zu veranstalten?

Buck: Ja, das Thema „Sommercamp“ kam ins Spiel – und dann haben wir darüber nachgedacht, was denn da so passieren könnte. Die Produktionsassistentin hatte mal Geocaching gemacht. Darauf haben wir gesagt, dann drehen wir jetzt mal „Die Tribute von Panem“ – nur ohne Tote.

teleschau: Sie haben ja selbst wieder einen Cameo-Auftritt. Diesmal als Pilzesammler …

Buck: Die Redakteurin meinte, man müsste die Kinder über die möglichen verheerenden Folgen von Pilzkonsum informieren – und dann habe ich das als Doktor Eichhorn eben gemacht. Dieser Dr. Eichhorn ist ja ein seltsamer Typ, der so seine eigenen Rituale hat, meinen kurzen Auftritt haben wir mal eben in zwei Stunden hingedonnert, der war ja auch schon im ersten und zweiten Teil dabei …

teleschau: Haben sie nicht manchmal Angst Kinder zu überfordern?

Buck: Unterfordern, das finde ich schlimm, die Kinder für blöd verkaufen.

teleschau: Ich habe im neuen „Bibi und Tina“ so eine Anspielung auf „Fack ju Göhte 2“ wahrgenommen.

Buck: In „Fack ju Göhte 2“ gab es auch eine Anspielung auf den „Bibi und Tina“-Film.

teleschau: Zufall?

Buck: Naja, wir haben das Goethe-Zitat drin, wir dachten, das schadet ja nicht – es war schon eine kleine Replik. Wir haben ja auch zwei Schauspieler, die bei „Fack ju Göhte“ auch mit dabei sind.

teleschau: Drehen Sie eigentlich lieber Familien- als reine Erwachsenenfilme?

Buck: Nee, aber ich finde schon, dass das Kino heutzutage so eine Art Sicherheitsweste anhat – und solche Projekte bekommst du einfach schneller durch. Und ich drehe einfach sehr gerne, das macht mir Spaß. Das Schöne daran ist ja auch: Wenn Du Jugendliche begeisterst, dann hast du ein gutes Publikum. Natürlich habe ich auch andere Projekte, aber die sind zum Teil schwerer zu finanzieren. Allerdings muss man sich auch erst mal gegen die vielen animierten Kinderfilme durchsetzen.

teleschau: Was wäre denn abschließend ihr Tipp für andere deutsche Kinderfilm-Macher?

Buck: Sie sollten sich selbst nicht langweilen, wenn sie es machen.

Stimme / Jan. 2016