Von Fasanen und Menschen
Der neue Roman der Deutschen Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel seziert genüsslich die Mechanismen der allgegenwärtigen Empörungskultur, Klassismusängste und Machtmissbrauch innerhalb der Kulturszene.
Fasane, diese prächtigen Tiere, gelten gemeinhin als Glückssymbol, doch in Antje Rávik Strubels Gesellschaftssatire „Der Einfluss der Fasane“ flattern sie zwar hie und da geheimnisvoll emblematisch durch das Unterholz, bringen ihrer Beobachterin aber insgesamt wenig Glück.
Ihr Roman beschäftigt sich mit sexualisierter Gewalt an Frauen – und der unerbittlichen Social-Media-Öffentlichkeit. Im Mittelpunkt steht eine Zeitungsredakteurin, die einen Enthüllungsartikel schrieb, der gravierende Folgen hatte: Der unaufhaltsame Sturzflug der Feuilleton-Chefin Hella Karl beginnt mit einer Meldung in der Zeitung, für die sie arbeitet: „Im fernen Australien nimmt sich der Ehemann einer berühmten deutschen Opernsängerin vor der herrlichen Kulisse der Sydney Opera das Leben.“
Unglücklicherweise hatte die Berliner Journalistin erst kurz davor öffentlich gemacht, dass der für seine Übergriffigkeit bekannte Theaterintendant, der nun so dramatisch aus dem Leben geschieden ist, eine Schauspielerin zur Abtreibung gedrängt hatte. Recht zügig gibt die Öffentlichkeit Hella Karl aber nun die Schuld an der Selbsttötung des Intendanten Kai Hochwerth. In den sozialen Medien wird zum Boykott der Berliner „Abendpost“ aufgerufen. Auch Hella Karl selbst, die den Theaterfürsten, der die Presse verachtete, insgeheim so manches Mal den Tod gewünscht hat, kann sich von Schuldgefühlen zunächst nicht ganz freimachen.
Und dann reagiert die Kulturjournalistin, die es eigentlich besser wissen müsste, auch noch in einem rasch anberaumten TV-Interview extrem ungeschickt: Auf den Vorwurf, dass sie die Erste gewesen sei, die die belastende Schlagzeile über Hochwerth formuliert hat, antwortet die selbstkritische Hella Karl, dass sie demnach „das beste Beispiel“ dafür ist, „wovor ich in den letztenMonaten in meinen Artikeln immer wieder gewarnt habe … eine kopflose Presse“.
Kurz darauf wird die Feuilleton- Chefin, die sich aus einfachenVerhältnissen mühsam hochgearbeitet hat und dies stets zu verbergen sucht, zwangsbeurlaubt. Ihre Ängste als Angehörige ihrer Schicht bloßgestellt zu werden, denen man trotz der auktorialen Erzählweise recht nahe kommt, sind ein weiterer interessanter Aspekt, der den vielschichtigen, aber auch zuweilen ein wenig unentschlossen wirkenden Roman durchzieht.
Hella Karl, die stets in der dritten Person von sich redet, wie um um jeden Preis Distanz zu wahren, konstatiert einmal: „Und noch immer sieht sie sich im beruflichen Umfeld genötigt, etwaige Schwächen, etwa ihre überschaubaren Englischkenntnisse oder ihreWortverdrehungen in Redewendungen, zu überspielen. Im Moment der Krise entgleitet ihr das Besteck, das sie sich angeeignet hat. Anders als ihremUmfeld.“
Dies ist auch eine interessante Parallele zu dem vulgären Despoten Hochwerth, der ebenfalls aus der Unterschicht stammt. „Sie sehen aus, als wären Sie mit einer schönen Fotze gesegnet“, provoziert er eine Frau bewusst derb bei einer Premierenfeier. Nicht von ungefähr weckt Hochwerth Erinnerungen an ehemalige Berliner Intendanten, denen auch Machtmissbrauch und toxisches Verhalten vorgeworfen wurde. Auch die kürzlich publik gewordene Diskriminierung von Müttern am Berliner Ensemble verleiht dem durchaus fesselnden Roman zusätzliche Aktualität.
Wie es aber in unserem medialen Empörungszirkus Tag für Tag so läuft, geht es von Anfang an nicht um den sexistischen Intendanten und seine weiblichen Opfer, sondern darum Hella Karl gesellschaftlich kalt zu stellen. Auch bei ihren Kollegen, mit denen sie sich gern in dem bei Medienleuten beliebten Nobel-Restaurant Borchardt trifft, verliert sie zunehmend an Rückhalt. Einzig ihre Kollegin Edith, „eine kleine Klette“, die die recht unsympathische Protagonistin Hella Karl verachtet, weil sie „zu wenig Selbstbeherrschung für ihren Geschmack hat“, hält noch zu ihr.
Zudem geht Hella Karls kinderlos gebliebene Beziehung mit einem attraktiven Architekten, mit dem sie in dessenHaus am Potsdamer Wannseeufer wohnt, den Bach herunter. Das unterkühlte Verhältnis zwischen Hella und ihrem Gatten, den sie immer nur T. nennt, weil sie sich dann selbst „ein bißchen geheimnisvoll“ findet, böte genug Stoff für einen eigenen Roman. Das wohlsituierte Paar benutzt einander, weil es es nicht besser weiß. T. steht Hella bei der Rufmordkampagne kaum bei, und die egozentrische Hella bekommt überhaupt nicht mit, dass ihrMann, der an der brisanten Restauration der Potsdamer Garnisonskirche arbeitet, sich in einer Sinnkrise befindet.
Doch auch auf diese seltsam distanziert wirkende Beziehung wird in dem dem nur 240 Seiten starken Roman lediglich ein Schlaglicht geworfen, so dass man immer man immer wieder ein wenig enttäuscht ist, dass dieses und andere Motive nicht tiefer ausgeleuchtet werden. Welche Geschichte will Strubel, die mit dem sprachgewaltigen #MeToo-Roman „Die blaue Frau“ 2021 den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, eigentlich erzählen? Geht es um Machtmissbrauch in der Kulturszene? Die Probleme der Zeitungsbranche, die um Klickzahlen kämpfen muss? Die Rufmordkampagne an einer Journalistin? Oder doch im Kern eher um Klassismus und Eitelkeiten in der Kulturbranche?
Und die männlichen Fasane? So viel ist sicher, sie stehen in diesen aufgeregten Zeiten – wie aufgescheuchte Hühner – zu guter Letzt verhängnisvoll im Weg herum.
Foto (c) Marcus Höhn
Der Einfluss der Fasane / In: Die Rheinpfalz von März 2025