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Foto (c) 2018 Tobin Yelland / A24/ MFA

Besser als jeder Elternratgeber

Berlinale-Panorama: Der Indie-Film »Mid90s« ist eine Hommage an die 90er Jahre

Vor einigen Jahren begeisterte auf der Berlinale ein als Dokumentarfilm vermarkteter Film über Skateboardfahrer das Publikum. Leider stellte sich »This ain’t California« – über die Skateboard-Szene in der DDR – im Nachhinein als Fake-Doku bzw. als »fiktionaler Dokumentarfilm« heraus.

Mit »Mid90s« wird nun in diesem Jahr ein Film in der Panorama-Sektion gezeigt, in dem es nur vordergründig um das Skateboardfahren geht, denn das mitreißende Regiedebüt des mehrfach oscarnominierten Schauspielers Jonah Hill ist viel mehr als nur das.

Dem im 16-mm-Format gedrehten Indie-Film, zu dem Hill auch das Drehbuch schrieb, gelingt es nicht nur, das Lebensgefühl der Jugend in den 90ern einzufangen, sondern er funktioniert auch als zeitloses Porträt der schwierigen Teenagerzeit von Jungs.

Stevie (herzzerreißend gespielt von Sunny Suljic) ist 13 Jahre alt und wohnt mit seinem älteren Bruder Ian (Lucas Hedges) und seiner alleinerziehenden Mutter Dabney (Katherine Waterston) in L.A.. Ständig wird er von seinem älteren Bruder vermöbelt, dennoch bewundert er ihn, schleicht sich heimlich in sein Zimmer, probiert seine coole Basecap auf, befühlt seine Air Jordans und schreibt sich jeden Titel aus dessen CD-Regal ab. Das 90er Jahre Set- und Kostüm-Design des Films bis hin zu den – von den Nine-Inch-Nails-Musikern Trent Reznor und Atticus Ross zusammengestellten – Indie-Rock und Hip-Hop-Tracks ist insgesamt fantastisch, ohne sich wichtigtuerisch in den Vordergrund zu drängen.

Eines Tages fasst sich Stevie, der sich nach Zusammenhalt, Abenteuer und Initiation sehnt, ein Herz und versucht bei der verheißungsvolle Skateboard-Clique, die sich regelmässig in einem Skateshop trifft, zu landen.

Tatsächlich gelingt es ihm von dem coolen Anführer Ray (Na-kel Smith), dem dauerbekifften Fuckshit (Olan Prenatt), dem Filmemacher Fourth Grade (Ryder McLaughlin) und dem verzweifelt um Coolness bemühten, in der Hackordnung ganz unten stehenden Ruben (Gio Galicia) unter die Fittiche genommen zu werden. Alle Charaktere werden von schauspielunerfahrenen Skatern verkörpert, die ihre Seele in die Rolle legen und von Hill sichtbar genug Raum zum Improvisieren bekommen haben, so dass sie entscheidend zum authentischen Flair des Films beitragen. Die Filme von Richard Linklater („Boyhood“) scheinen hier Pate gestanden zu haben. 

Stevie übt nun wie ein Verrückter auf der Auffahrt vor seinem Haus das Skateboard fahren. Was es ihm an Können mangelt, beginnt er schon bald mit seinem halsbrecherischen Wagemut wettzumachen.

Herausgekommen ist dabei ein fiktiver, klischeefreier Film mit dem Duft von Teenage-Angst, Marihuana, Alkohol, riskanten Autofahrten, dem Rausch endlich irgendwo dazu zu gehören, dämlichen Männlichkeitsgebaren und ersten Petting-Erfahrungen – besser als jede Bravo, jede Fake-Doku und jeder Eltern-Ratgeber. Go for it.

“Mid90s” in nd von Feb. 2019