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Foto (c) capelight pictures

Bevor man einschläft

Mike Flanagan vermag mit seinem Albtraumdrama „Before I Wake“ leider nicht an ähnliche Gruselschocker anzuknüpfen.

Was passiert, wenn Albträume real werden? Wes Craven setzte 1984 mit „Nightmare on Elmstreet“ in dieser Nische des Horrorfilms höchste Maßstäbe. Mike Flanagan, der das Kinopublikum derzeit auch mit „Ouija 2: Ursprung des Bösen“ zum Gruseln bringen will, knüpft mit seinem Horrordrama „Bevor I Wake“ an diese Genretradition an. Das Grundsetting und vor allem auch die Besetzung des kindlichen Träumers schüren hohe Erwartungen: Jacob Tremblay, der in dem oscarnominierten Drama „Raum“ nachhaltig zu beeindrucken wusste, spielt hier seine zweite große Kinorolle.

„Was ist ein Kind anderes als die Manifestation unserer Träume?“, versucht der Selbsthilfegruppenleiter die aufgebrachte Jessie (Kate Bosworth) zu beruhigen. Die verlor einst ihren leiblichen Sohn bei einem tragischen Unfall in der Badewanne. Bisher wurde sie deshalb „nur“ von einem riesigen Schuldkomplex belastet, doch nun behauptet die Trauernde felsenfest, in der Nacht zuvor ihren verstorbenen Sohn Sean durchs Haus geistern gesehen zu haben. Doch die Sache verhält sich ein wenig anders.

Nach Seans tragischem Unfall entschlossen sich Jessie und ihr Ehemann Mark (Thomas Jane), den achtjährigen Cody (Jacob Tremblay) zu adoptieren. Der überaus sympathische Junge, der mit drei Jahren seine Mutter vorlor, wurde schon von einigen Pflegeeltern wieder zurückgegeben. Er hat Angst davor einzuschlafen, was Jessie und Mark seiner Kindheit zuschreiben, die bislang traumatisch verlaufen ist. Der zehnjährige Kinderstar Jacob Tremblay versteht das sehr überzeugend zu vermitteln.

So leidet der Zuschauer zunächst mit jedem einzelnen der leidgeprüften Familienmitglieder mit. Die neuen Adoptiveltern setzen alles daran, Codys seelische Wunden zu heilen und ihm die Angst vor dem Schlafen zu nehmen. Cody behauptet jedoch steif und fest, nachts komme der „Kinker Man“ zu ihm, der auch schon seine leibliche Mutter verschlungen habe.

Tatsächlich passieren dann auch zunächst seltsam-magische Dinge, wenn der kleine Schmetterlingsliebhaber Cody doch einmal einschläft. Plötzlich ist das Wohnzimmer voll von recht kitschigen CGI-Faltern aus seinem Lieblingsbuch – ein schwarzes Exemplar beißt Jessie jedoch ganz real in die Hand. Wenig später erscheint auch ihr verstorbener Sohn Sean auf der Bildfläche – nachdem Cody ausgiebig sein Foto studiert hat.

Jessie beginnt, die ungewöhnliche Gabe Codys zu verstehen, und fängt an, sie zu missbrauchen: Zu groß ist die Versuchung, ihren Sohn noch einmal real in die Arme zu schließen. So jubelt sie Cody sogar heimlich ein Schlafmittel unter, damit er auch schön schläft – und träumt.

Eine vielversprechende Drehbuchidee von Mike Flanagan und Co-Autor Jeff Howard, die jedoch leider durch gewisse Längen und das zunehmend nervende, recht somnambule Spiel Bosworths unterwandert wird. Auch die wortkarge, oberflächlich wirkende Beziehung der Eltern beginnt allmählich zu langweilen. So findet Mark es zwar nicht richtig, dass seine Frau den Adoptivsohn als Heimkinoprojektor missbraucht, er lässt sie aber dennoch gewähren.

Erinnert der Film eingangs noch an den großartigen „Der Babadook“ (2015) von Jennifer Kent, vermag „Before I Wake“ seine anfängliche, subtile Spannung nicht aufrechtzuerhalten. Als der – ohnehin nicht sehr schaurig wirkende – Kinker Man schließlich vermehrt auf der Bildfläche erscheint, vermag er kaum noch zu schocken. Und zwar nicht nur, weil sein Auftreten mit plump wirkenden Jump-Scares inszeniert wird. Wenn dann noch der obligatorische Irre, ein ehemaliger Adoptivvater Codys, seinen Auftritt hat, winkt man innerlich bereits nur noch müde ab.

Bevor man einschläft, hat man den Film schon wieder vergessen. Ganz ohne die Bedenken, sich seinen Träumen hinzugeben, die einen damals nach dem ersten filmischen Rendezvous mit Freddy Krueger plagten.

Stimme / Okt. 2016