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Wie und wo schreibt man den ersten Roman?

Der Erfolgsschriftsteller als junger Mann: In »Das kleine Haus am Sonnenhang« schreibt Alex Capus von seinen Anfängen

Wie arbeitet ein Schriftsteller? »Ich weiß, dass es Autoren gibt, die bei jeder Beerdigung, jeder Liebesnacht und jedem Kneipengespräch an literarische Verwertbarkeit denken. Ich arbeite nicht so. Das fände ich unredlich, vielleicht sogar hinterhältig … Ich lebe, weil ich ein Mensch bin. Meine Arbeit als Schriftsteller verrichte ich zu Bürozeiten«, schreibt Alex Capus in »Das kleine Haus am Sonnenhang« über sich selbst als jungen Mann.

Es ist sein elfter Roman. Er spielt in den 90er Jahren. Kaum jemand hatte ein Handy, an den Tankstellen wurde man noch bedient, alle rauchten, als gäbe es kein Morgen, »und Zeitungen las man auf Papier.« Es gab auch noch kein Internet und der junge Capus, der gerade seinen Job als Journalist bei einer Schweizerischen Nachrichtenagentur gekündigt hatte, beschließt in einem abgelegenen Haus, dass er für »fast kein Geld« im Piemont gekauft hat, seinen ersten Roman zu schreiben. Auf seiner lindgrünen Hermes-Baby-Schreibmaschine.

Den Sommer verbringt auch seine spätere Ehefrau Nadja mit ihm. Zudem besuchen Freunde den angehenden Schriftsteller, sie veranstalten wilde Schaukelstuhlrennen auf der Terrasse, Schießwettbewerbe mit einem rostigen Luftgewehr und Gesangsfeste.

Capus’ ungekünstelte Art zu erzählen, wirkt wie durchdrungen von flirrenden Sonnenstrahlen und der Unbeschwertheit junger Menschen. Man hat das Gefühl, selbst dabei gewesen zu sein. »Es ist für mich von existentieller Bedeutung, dass mir meine Leserschaft gebannt folgt«, schreibt er. So viel vorab: Das ist ihm mit diesem durchaus komplexen, aber dennoch mühelos lesbaren Buch vollends gelungen. »Zufrieden bin ich erst, wenn alles richtig fließt und klingt und für mein Empfinden die klarste, einfachstmögliche Form gefunden hat« – hat geklappt.

Nadja und seine Freunde reisen nach unbeschwerten Sommertagen wieder ab und der Ich-Erzähler bleibt allein zurück. Der Schriftsteller kann sich nun wieder vollends seinem Roman widmen, er hat keine Probleme damit, wenn ihm einmal nichts einfällt: »Dann legte ich den Deckel auf die Schreibmaschine und ging zu meiner Baustelle. Ich hatte immer eine Baustelle.« Ab und an fährt er mit dem klapprigen Fahrrad ins Dorf, um dort in der immer selben Bar den Abend mit Mauro, Roberto und Sergio zu verbringen. Am Flipper steht stets Mimmo, der nicht spricht.

Doch mehr und mehr mischen sich in die Beschreibung eines einfachen Schriftstellerlebens grundlegende Gedanken über das Schreiben als Handwerk. So nimmt der Erzähler den Einbruch in den Opferstock der Ortskirche, zu dessen Aufklärung der Maresciallo (Polizeihauptmeister) eingeschaltet wird, zum Anlass, um über Kausalketten in der Literatur zu reflektieren. Er kommt zu dem Schluss, dass ein Schriftsteller – genau wie der Maresciallo – in der Lage sein muss, Fährten zu lesen, denn »wir kommen zur Welt und dann geschehen ein paar Dinge, die nicht unbedingt miteinander in Zusammenhang stehen, und dann sind wir tot. Diese Vorstellung ertragen wir schlecht. Uns verlangt es nach Sinn, deshalb schmieden wir Kausalketten und erzählen einander Geschichten.«

Die Aufklärung des Diebstahls mündet in einer ungewöhnlichen Regelung: Der Täter wird nicht verhaftet und der Maresciallo zückt sogar sein Portemonnaie. Capus bezeichnet diesen Deal mit feinsinniger Ironie als »italienisch-katholisches Konfliktmanagement«.

Als er bereits an der Endfassung seines ersten Romans schreibt, macht ihm ein Siebenschläfer das Leben schwer. Die ganze Nacht trappelt er auf dem Dachboden herum, zernagt Kabel und sorgt für Stromausfälle. Doch der Autor kann sich nicht dazu durchringen, ihn mit dem Luftgewehr zur Strecke zu bringen.

Schließlich raubt ihm auch noch jemand, während er kurz in Genua weilt, den wertvollen Kachelofen. Alle Spuren deuten darauf hin, dass es jemand von seinen Bekannten aus dem Dorf war. Die Idylle hat Risse bekommen, dennoch unternimmt er nichts. Mit dem fertigen Manuskript des Buchs »Munzinger Pascha«, das 1997 erscheinen wird, einem Schuss und dem Verkauf des Hauses, in dem er einst glücklich war, endet dieser virtuose Roman. »Meine Bücher jedenfalls sind alle gleich. Hast du eins gelesen, hast du alle gelesen«, schreibt Capus völlig uneitel. Das mag von höherer Warte stimmen, dennoch wird man sich auch den nächsten Roman des sympathischen 62-jährigen Autors, der in der Schweiz eine Bar betreibt, zu Gemüte führen. Schließlich vermag Capus, der nach eigenen Worten bestrebt ist, das Leben und das Schreiben auseinanderzuhalten, es in seinen Werken stets en passant zu einer einnehmenden Geschichte zusammenzuführen.

Foto (c) Ayse Yavas

„Das kleine Haus am Sonnenhang“ in nd / Okt. 2024