E

Ein killermäßiges Vergnügen

In Richard Linklaters Komödie »Hit Man« mimt ein Psychologieprofessor einen Auftragskiller

»Was, wenn Ihr Selbst ein Konstrukt ist?«, fragt der Philosophie- und Psychologieprofessor Gary Johnson seine Student*innen. Schon bald wird der unscheinbare Allerweltstyp, dessen Katzen bezeichnenderweise »Id« (Es) und »Ego« (Ich) heißen, sich selbst dieser Frage in der Praxis unterziehen. Denn Gary arbeitet nebenbei für die Polizei von New Orleans, hilft ihr bei der Abhörtechnik. Doch eines Tages soll er spontan für seinen asozialen Kollegen Jasper einspringen: Der sanftmütige Gary muss einen Auftragskiller mimen, damit die potenziellen Kund*innen ihr Vorhaben verbal äußern und Geld über den Tisch schieben, so dass die Polizei sie festnehmen kann. Wider Erwarten glänzt er in der Rolle des knallharten »Hit Man« – wie »A Killer Romance« im Original heißt. Fortan wird er regelmäßig als vermeintlicher Auftragskiller eingesetzt.

Der 34-jährige Glen Powell, der bislang eher in Nebenrollen, wie zuletzt als selbstgefälliger Pilot in »Top Gun 2 – Maverick« geglänzt hat, verkörpert diesen Professor mit einer derartigen Verve und Spielfreude, dass man das Gefühl hat, der überfälligen Geburt eines Hollywoodstars beizuwohnen.

Powell spielte in Richard Linklaters College-Komödie »Everybody Wants Some« seine erste Hauptrolle. Hier war er nicht nur am Drehbuch beteiligt, sondern auch Initiator der mit geringem Budget gedrehten Killerkomödie. Das gemeinsame Skript beruht ganz lose auf einer wahren Geschichte – auf einem Zeitungsartikel über einen Lehrer, der für die Polizei aushilfsweise einen Auftragsmörder gemimt hat.

Der nette Gary blüht sichtlich auf als Fake-Auftragskiller. Akribisch bereitet er sich vor, checkt vor jedem Auftrag die Social-Media-Seiten seiner »Kund*innen« und überlegt sich für jeden eine glaubwürdige Persona. Endlich kann er seine theoretischen Menschenkenntnisse, die er ironisch aus dem Off kommentiert, in die Tat umsetzen! Seine von Retta und Sanjay Rao gespielten Kolleg*innen im Überwachungstransporter, die für einige zusätzliche Lacher sorgen, können seine Wandelbarkeit kaum fassen.

Jedem seiner Klienten gibt Gary exakt das, was sie von einem Mann erwarten, der gegen Bezahlung Leute umbringt. Man kann es kaum abwarten, bis er wieder in eine neue Persona schlüpft: Den Hillbilly legt er mit Camouflage-Kopftuch und rüdem Benehmen beim gemeinsamen Tontaubenschießen rein, ein queeres Psycho-Outfit gehört genauso zu seinem Repertoire wie Anzug und zurückgegeltes Haar im Bond-Style. Es ist, als würde man einer hoch amüsanten Screwball-Version von »Breaking Bad« beiwohnen.

Doch Garys Paraderolle ist die des überaus charmanten Ron. In dieser Verkleidung begegnet er auch der Femme fatale Madison (Adria Arjona), die in tiefster Verzweiflung ihren missbräuchlichen Ehemann umbringen lassen will. Doch von der ersten Minute an sprühen dermaßen die Funken zwischen den beiden, dass Ron/Gary sich entschließt, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Er überredet sie, stattdessen ein neues Leben zu beginnen. Selten hat die Chemie zwischen zwei Hauptdarsteller*innen so gestimmt wie in diesem Film!

Es kommt, wie es kommen muss, die beiden Hotties fangen an sich zu daten, landen rasch gemeinsam im Bett, und Garys Doppelleben gerät mehr und mehr außer Kontrolle. In einem klaren Moment fragt er sich zwar, wie er Sex mit jemandem haben kann, der seinen Ehemann hat töten lassen wollen – kann aber trotzdem nicht von Madison lassen. Seine lang unterdrückte Männlichkeit steht in Flammen! Mehr und mehr fragt Gary sich: Was würde Ron tun?

Die Amour fou führt zu moralisch zweifelhaften Wendungen in der schwarzen Komödie, die absolut unvorhersehbar ist, was das Sehvergnügen noch einmal vervielfacht. So werden die beiden zusammen gesehen, und Madisons ekelhafter Ehemann entwickelt finstere Rachegelüste.

Das ganze Chaos mündet in eine geniale Szene, die ein Paradebeispiel für komödiantisches Timing ist. Allein deshalb lohnt es sich, den Film ein zweites Mal zu sehen. Nur so viel: Mittels heimlich getippter Nachrichten auf seinem Handy gelingt es Gary, den Verdacht von ihrer Beziehung und Madisons möglicher Verwicklung in einen Mord abzulenken.

Einziger Wermutstropfen ist eine überzogene Szene gegen Ende des Films, bei der einem doch das Lachen ein wenig im Halse stecken bleibt. Eine derart makabere Szene hätte man eher bei einem Film von Quentin Tarantino oder den Coen-Brüdern, aber nicht bei dem Schöpfer des einzigartigen Coming-of-Age-Dramas »Boyhood« und der romantischen »Before«-Trilogie erwartet.

Dennoch bereitet das intelligente Spiel mit Identitäten unterm Strich killermässiges Vergnügen, nicht zuletzt durch den spielfreudigen Cast, allen voran Glen Powell, den man sofort in einem weiteren Film sehen möchte. Derart clevere Dialoge, unvorhersehbare Wendungen und unmoralisches Storytelling, das auf Absatzmärkte pfeift, sind heutzutage leider eine Seltenheit geworden. Und Garys letzte Mahnung an seine braven Student*innen entlässt die Zuschauer*innen beschwingt aus dem Kino: »Leben sie die Identität, die sie wollen – mit aller Leidenschaft!«

Foto (c) LEONINE Studios

In: nd von Juli 2024