Toxisch, bis zum letzten Satz
In ihrem Roman „Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen“ erzählt Milica Vuckovic von der Liebe zu einem gewalttätigenMann
In sozialen Medien kann man sich seit einigen Jahren nicht mehr vor Tests und Tipps bei toxischen Beziehungen retten. Selbsternannte Experten lauern hinter jedem Popup-Fenster. Auch die Literatur hat dieses Thema längst für sich entdeckt: So schildert Heinz Strunk in seinemRoman „Es ist immer so schön mit dir“ den zermürbenden Alltag einer toxischen Liebesbeziehung aus männlicher Sicht, Annette Pehnt in „Die schmutzige Frau“, wie eine Schriftstellerin sich von ihrem dominanten Partner löst. Terézia Moras Buch „Muna oder die Hälfte des Lebens“ und Ruth-Maria Thomas‘ Debütroman „Die schönste Version“ kreisen ebenfalls um emotionale Abhängigkeit und Gewalt.
Nun greift auch die serbische Schriftstellerin Milica Vuckovic, bislang eher als Malerin bekannt, dieses Thema in ihrem Roman „Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen“ auf. Ein irreführender Titel, der das Grauen, das den Lesern zwischen den Zeilen ereilt, nicht einmal andeutet. In den Danksagungen verrät Vuckovic, dass reale Erlebnisse einer Freundin in die Geschichte eingeflossen sind.
In verstörend lakonischem Ton wird die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die sich in einen psychopathischen Macho verliebt. Dabei müsste das Verhalten dieses Mannes die Ich-Erzählerin Eva, Sekretärin in einer Belgrader IT-Firma, eigentlich bereits bei der ersten Begegnung abstoßen. Als ein Kollege ihn auf eine Geschäftsfeier mitbringt, setzt er sich neben sie, „pflanzte sich auf diesen Stuhl wie ein eingeschlagener Pflock, Viktor, V, mit der Spitze nach unten rammte er sich da ein und bewegte sich nicht mehr. Anschließend redet er ununterbrochen auf sie ein, sie versteht kaum etwas – und fühlt sich dennoch zu ihm hingezogen.
Unverständlich bleibt, warum Eva aus ihrer gescheiterten Ehe mit dem erschreckend gleich- gültigen Vater ihres Kindes nichts gelernt hat. Stattdessen analysiert sie nüchtern, dass sie mit über 30 und einem zweijährigen Kind zur „Gebrauchtware“ gehört und lässt sich auf den charismatischen Möchtegern-Schriftsteller ein, der Gleichberechtigung predigt, aber das Gegenteil lebt.
Die Lektüre wird zur beklemmenden Erfahrung. Während sich Viktor rasch als Psychopath entpuppt, möchte man Eva ständig wachrütteln, doch sie hält an ihm fest.Der Text entwickelt einen starken Sog, der lakonische Ton macht das Erzählte umso verstörender. Zeile für Zeile verfolgt man Evas Selbstaufgabe bis zum bitteren Ende. Wie abgestumpft folgt Eva diesemMann – und wir ihr.
Bereits bei ihrem ersten gemeinsamen Ausflug zum Haus ihrer Großmutter, für Eva „ein heiliger Ort“, zeigt sich Victors gestörte Persönlichkeit: Die Wiesenblumen, die sie in eine Vase stellt, schmeißt er kurzerhand weg, da sie angeblich „voller Viecher“ sind. Empathie ist für diesen Mann ein Fremdwort. Den Kellner im Restaurant, den sie gut kennt, behandelt er äußerst herablassend – erstes Aufflammen seiner krankhaften Eifersucht. Dennoch empfindet Eva den gemeinsamen Urlaubs als „idyllisch“, was zeigt, wie angeknackst ihr Selbstwertgefühl bereits ist. Sie hat Angst, „etwas zu vermasseln“ – während Victor ihr am Abend die Welt erklärt.
Warum ist Eva so?Warum stellt sie keine Ansprüche an ihren Partner und ihr Leben? Zwar ist das Verhältnis zu ihrer Mutter, die ihre Schwester stets bevorzugte, unterkühlt, dafür hat sie eine gute Beziehung zu ihrem liebenswerten Vater. Man fragt sich: Wie können Emanzipation und Gleichberechtigung scheinbar komplett an dieser Frau vorbeigegangen sein?
Mit der Zeit isoliert Viktor Eva vollständig. Er entfremdet sie von ihrer Familie, zerstört Freundschaften überredet sie zu einem Umzug nach Stuttgart – in eine schimmlige Kellerwohnung. Während er dort an seinem„Meisterwerk“ schreibt, arbeitet Eva als Reinigungskraft.
Bald beginnt er, sie zu schlagen, gefolgt von Tränen, Schuldumkehr,Mitleidsgeschichten über seine angeblich schwere Kindheit. Eva verzeiht ihm immer wieder. Ihr kleiner Sohn, den sie nachgeholt hat, wird prompt verhaltensauffällig. Dennoch wächst in ihr der Wunsch nach einem gemeinsamen Kind mit Viktor. Der destruktiv Teufelskreis schließt sich: Manipulation, Kontrolle und emotionale Erpressung bestimmen fortan Evas Leben. Gelegentlich fragt sie in ihrer seelischen Not Google um Hilfe, im gemeinsamen Skiurlaub, tippt sie einmal „Mord durch Skier“ in die Suchleiste. Man könnte den Roman durchaus als tiefschwarzhumorig bezeichnen, doch bleibt einem das Lachen stets im Halse stecken.
Vuckovic unterläuft bewusst jede Erwartung an Empowerment oder kathartische Befreiung. Ihr Text verweigert klassische Dramaturgien – keine Heldinnenreise, kein Aufbruch, kein Licht am Ende des Tunnels. Selbst als sich Eva aus dem fahrenden Auto stürzt, um Victors Demütigungen zu entkommen, kehrt sie – kaum genesen – zu ihm zurück. Wie ein Kind zu der Hand, die es schlägt. Ein verstörender Roman, der aufzeigt, wie schwierig es sein kann, demTeufelskreis toxischer Beziehungen zu entkommen.
Foto (c) Kunst Weekly
In: Die Rheinpfalz von August 2025