Plastikteilchen im Öl- und Gaspuzzle
Ein »wunderbares Material«, das die Welt und die Organismen vermüllt: Der Dokumentarfilm »Plastic Fantastic«
Das erste Stückchen Plastik, das jemals in die Natur gelangt ist, ist immer noch da – mittlerweile gibt es 500-mal mehr Plastikpartikel in den Ozeanen als Sterne in der Galaxie. Dennoch ist in den letzten 15 Jahren mehr Plastik hergestellt worden, als in den 40 Jahren zuvor. Zu dieser erschreckenden Erkenntnis kommt Isa Willinger in ihrem Dokumentarfilm mit dem ironischen Titel »Plastic Fantastic«. Besonders beeindruckt ihre umfassende Betrachtung des komplexen Problems. Sowohl Umweltaktivist*innen, als auch Wissenschaftler*innen und Lobbyist*innen kommen zu Wort.
Mit Entsetzen erlebt man eine PR-Abgesandte der Plastikindustrie, die fast allen 17 000 Grundschulen in Deutschland »Kunos coole Kunststoffkiste« ans Herz gelegt hat: Schüler*innen sollen lernen, das lukrative Produkt der petrochemischen Industrie wertzuschätzen. Ein darauf folgender Schnitt auf Kinder, die vor einem komplett mit Plastikprodukten zugemüllten Fluss stehen, spricht eine andere Sprache. Die »Kuno«-Kampagne entspringt demselben Geist wie jene, die Lewis Freeman, der Cheflobbyist für Staat und Bund des Wirtschaftsverbands der Kunststoffindustrie, in den 80ern mitzuverantworten hatte. Als man damals begann, sich Sorgen um Plastikrückstände in der Umwelt zu machen, wurde kurzerhand ein massives TV-Werbeprogramm für das »wunderbare« Material aufgesetzt – mit großem Erfolg. In seinem schönen Pensionssitz inmitten unberührter Natur wehrt sich Lewis heute erfolgreich gegen die Ansiedlung der Kunststoffindustrie.
Im Gegensatz zu rücksichtslosen Profitstrateg*innen hat der engagierte Fotojournalist James Wakibia mit seiner 2013 auf eigene Faust gestarteten Aktion »Ban Plastic« erreicht, dass in Kenia seit 2017 Plastiktüten verboten sind. Auch die hawaiianische Ozeanografin Sarah Jeanne Royer sammelt regelmäßig Plastik an den heimischen Stränden ein. Sie warnt vor Nanopartikeln, die wir ständig durch unsere synthetisch hergestellte Kleidung einatmen. Ihrer Ansicht nach würde bereits ein Verbot von Plastikflaschen einen enormen Unterschied machen. Beeindruckend ist auch das Engagement der pensionierten Lehrerin Sharon Lavigne: In ihrer überwiegend Schwarzen Gemeinde in Louisiana, deren Einwohner*innen überdurchschnittlich häufig an Krebs erkranken, macht sie gegen die weitere Ansiedlung einer Ethan-Cracker-Anlage mobil.
Demgegenüber stehen die schwer erträglichen Aussagen von Lobbyisten der Kunststoffindustrie wie Ingemar Bühler von Plastics Europe und Joshua Baca vom American Chemistry Council. Sie versuchen die Hauptverantwortung den Endverbraucher*innen zuzuschieben. Zudem wollen sie uns weismachen, dass eine Welt ohne Plastik unvorstellbar sei und die Industrie alles in ihrer Macht Stehende tut, um neue Recyclingmethoden zu entwickeln. Doch derzeit werden auf der Welt nur neun Prozent aller Kunststoffe recycelt, selbst Spitzenreiter Deutschland liegt unter 25 Prozent.
Professor Michael Braungart von der Leuphania-Uni in Lüneburg betont, dass die Allgemeinheit die Kosten und das hohe gesundheitliche Risiko der Produkte der Kunststoffindustrie tragen muss, während diese enorme Gewinne einstreicht. Seiner Ansicht nach muss man Alternativen zu Kunststoffen suchen beziehungsweise sie so herstellen, dass sie wiederverwendbar sind. In seinem »Museum der Zukunft« befinden sich Hunderte von Produkten, die die Umwelt wenig oder gar nicht belasten. Darunter Schuhe, die kompostierbar sind. Tatsächlich ist neben dem Reifenabrieb auch der Schuhabrieb am gigantischen Zuwachs an Plastikpartikeln auf unserem Planeten beteiligt. Beispielsweise werden 40 Millionen Flipflops jährlich ins Meer gespült. In jeder Auster befinden sich 1500 Mikroplastikteilchen. Jede dritte Plastikverpackung landet im Ozean.
Plastik ist ein zentrales Teil im Öl- und Gaspuzzle. Manche der größten Ölkonzerne sind auch die größten Produzenten von Plastik. Erschütternde Bilder von riesigen Mülldeponien, Recyclinganlagen und Salzstockwerken, in denen kontaminierter Filterstaub aus Verbrennungsanlagen gelagert wird – mit schwer absehbaren Folgen für das Grundwasser – runden diese Doku ab.
Doch man fühlt sich im Film von den deprimierenden Fakten nicht erschlagen, denn es kommen auch Menschen zu Wort, die den Planeten nicht widerstandslos den Mächtigen überlassen wollen. Frei nach Shakespeare: »Unser Schicksal hängt nicht von den Sternen ab, sondern von unserem Handeln.«
Foto (c) mindjazzpictures
„Plastic Fantastic“ in nd von Jan. 2024