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Kunst und Leben
Gerade mal 40 Seiten lang ist Haruki Murakamis Geschichte, die Ryusuke Hamaguchis gleichnamigen Film „Drive My Car“ als Grundlage diente. In Cannes wurde das Drama des japanischen Regisseurs, der bereits auf der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für seinen berührenden Episodenfilm „Wheel of Fortune and Fantasy“ erhalten hat, mehrfach ausgezeichnet.
Der Film beginnt mit einem faszinierenden 40-minütigen Prolog: Yusuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima), ein Schauspieler und Theaterregisseur, ist eigentlich mit der ätherischen TV-Autorin Oto (Reika Kirishima) recht glücklich verheiratet. Doch das künstlerisch ambitionierte Ehepaar muss seit einigen Jahren den Tod der kleinen Tochter verarbeiten. Zudem ist Oto ihrem Gatten nicht immer treu. Darüber verliert der sich auf diesem Auge blind stellende Kafuku, der es gewohnt ist eine Rolle zu spielen, jedoch kein Wort. Tatsächlich beginnt er auch ganz real unter einem eingeschränkten Gesichtsfeld zu leiden. Plötzlich jedoch stirbt seine Frau ganz unerwartet.
Zwei Jahre später bekommt Kafuku die Gelegenheit sein Lieblingsstück „Onkel Wanja“ von Anton Tschechov mehrsprachig zu inszenieren. Doch die Produzenten des in Hiroshima stattfindenden Festivals lassen ihn während der Proben – aus rechtlichen Gründen – seinen geliebten, alten Saab nicht selbst steuern. Dabei braucht er diese Zeit in seinem Auto gewohnheitsmäßig für sich, um mit Hilfe von Audiokassetten, die seine verstorbenen Frau ihm aufgenommen hat, seine Stücke zu rekapitulieren und sich vor der Welt abzuschotten. Doch nun bekommt er die Murakami-typische, geheimnisvolle junge Frau Misaki (großartig: Tôko Miura) zur Seite gestellt, eine fantastische Fahrerin, die ebenso alt ist, wie Kafukus Tochter heute wäre. Die wortkarge Misaki hat selbst ein schweres Trauma zu verarbeiten. Zögerlich beginnen die beiden sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Diese gemeinsamen Momente in dem dahingleitenden, roten Beichtstuhl ziehen die Zuschauer*innen noch einmal völlig in ihren Bann. Leider spinnt der japanische Regisseur jedoch aus Murakamis Kurzgeschichte letztlich einen drei Stunden langen Epos, Stunden, die für eingeschworene Theaterfans vermutlich wie im Traum vergehen. Alle anderen hätten sicherlich auch bei einer um einige ausufernde Theaterproben gekürzten Version die Kernaussagen des ansonsten großartigen Dramas um Trauer, Liebe, Verrat, Vergebung, die Rollen, die wir spielen, sowie die transformierende Rolle, die Kunst in unserem Leben einnehmen kann, zu greifen bekommen.
Kölner Stadtrevue / Jan, ’22