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Ein utopischer Western

Foto (c) Allyson Riggs

Kelly Reichhardts hypnotische Neowestern „First Cow“ – frei nach dem Roman „The Half Life“ von ihrem Stammautor Jonathan Raymond – ist eine Zeitreise in das Oregon des beginnenden 19. Jahrhunderts, in dem beinharte Trapper einander auf die Rübe hauen, um möglichst viel vom frisch kolonisierten, kapitalistischen Kuchen abzubekommen. Ebenso wie „Meeks‘ Cutoff“ erzählt die Independent-Regisseurin ihren Anti-Western, der auf der Berlinale 2020 zum Publikumsliebling avancierte,  jedoch aus einer ungewöhnlichen Perspektive.  Ganz anders als bei fast allen Filmen dieses Genres geht es nicht um knallharte Westernhelden und Barfrauen und den entscheidenen Showdown am Ende, sondern um die Freundschaft zwischen zwei Männern, die leider letztlich keine Chance haben, in dieser von Gier und Gewalt  bestimmten Welt  zu überleben: Der sanftmütige Koch Otis „Cookie“ Figowitz (berührend gespielt von John Magaro) lernt unter widrigsten Umständen den pragmatischen King-Lu (Orion Lee) kennen, der sich genau wie er einfach ein lebenswertes Leben aufbauen möchte. Die beiden freunden sich an. Als der englische Chief Factor (Toby Jones) sich die titelgebende erste Kuh der Gegend zulegt, sehen die beiden ihre Chance  gekommen. Cookie bäckt mit Hilfe der Milch, die er nachts heimlich der Kuh abzapft, wohlschmeckende Ölkrapfen, die im rauen Fort reißenden Absatz finden. Doch es dauert nicht lange bis Chief Factor den beiden auf die Schliche kommt. Im sich auf die Charaktere fokussierenden 4:3- Format und meditativen, statischen Einstellungen erzählt Reinhardt von einer Welt voller Gewalt, struktureller Benachteiligung und Rassismus. Dieser Realität setzt sie die achtsame, nicht mit Gold aufzuwiegende Freundschaft zweier ungleicher Männer entgegen, die ein viel besserer Grundstein für die im Entstehen begriffene Zivilisation gewesen wäre.