Foto (c) Koch Films
Raus aus dem Keller, rein in die Villa!
Klassenkampf mal anders: Der Cannes-Gewinnerfilm und Oscar-Favorit „Parasite“ ist eine böse-komische Familientragödie.
„Wäre ich reich, dann wäre ich auch freundlich“, konstatiert die ehemalige Hammerwerferin und einer bitterarmen Familie vorstehende Mutter einmal lakonisch.
Die einzigartigen Filme des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon- ho (»The Host«, »Mother«), der mit seinem düster-komischen, pessimistischen Film »Parasite« in diesem Jahr zu Recht die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat, bewegen sich zwischen intelligenter Milieustudie und unterhaltsamem Drama, wobei immer mit schwarzem Humor gerechnet werden muss. Den studierten Soziologen treibt vor allem ein Thema um, das sich durch seine komplette Filmografie zieht: die fatalen, menschenverachtenden Auswüchse des kapitalistischen Systems und der erbitterte Klassenkampf, der darauf folgt.
Bongs mittellose Protagonisten – die selbst keineswegs Heilige sind, sondern eben Figuren, die im Grunde auch nur den Reichtum derer abgreifen wollen, die sie beneiden – wissen sich stets zu helfen, nehmen Erniedrigungen und Demütigungen nicht klaglos hin, sind Improvisationskünstler.
Bereits sein 2006 erschienener Film »The Host« über eine aufgrund von massiver Umweltverschmutzung mutierte Echse, der zum erfolgreichsten Film im von Klassenunterschieden geplagten Südkorea avancierte, war ebenso intelligente Gesellschaftssatire wie Horrorfilm.
In seinem Film »Okja«, der letztes Jahr in Cannes ausgebuht wurde, da es sich um eine Netflix-Produktion handelte (wobei das Streaming-Unternehmen dem Regisseur alle Freiheiten gelassen hatte), setzte er abermals äußerst unterhaltsam und blutig-realistisch das Verhältnis von Ka-pitalismus versus Natur in Szene.
Die etwa 1000 zerlumpten, in einem durch ein Perpetuum mobile angetriebenen und in der Welt he- rumrasenden Zug zusammengepferchten Protagonisten in dem SF- Thriller »Snowpiercer« (2013) dagegen, die die Apokalypse überlebt haben, probten den Aufstand. Denn in dem Zug lassen es sich die Reichen in den vorderen Abteilen so richtig gut gehen, während die anderen geknechtet werden und unter unwürdigen Bedingungen zu vegetieren gezwungen sind. Notiz am Rande: Auch bei dieser Produktion zog Bong künstlerische Freiheit dem Kommerz vor. Der mittlerweile wegen zigfachen Missbrauchs angeklagte Produzent Harvey Weinstein, der die Rechte an dem Film für alle englischsprachigen Länder innehatte, verlangte von Bong, seinen Film um eine knappe halbe Stunde zu kürzen, da er ihn für zu intelligent hielt.
Bong weigerte sich und verzichtete auf einen weltweiten Filmstart. Dennoch wurde der Film ein Erfolg.
Da Bong die Presse darum bat, nicht allzu viel von der überaus wendungsreichen Handlung seines neuen Films »Parasite« zu verraten, sei hier nur die erste Stunde angerissen:
In einem Kellerloch haust die nicht unsympathische Familie Kim, Mutter, Vater, Sohn und Tochter, alle gewitzt, aber leider, bis auf hoffnungslos unterbezahlte Aushilfsjobs, arbeitslos. Durch einen Freund, der sich ein Studium leisten konnte, erhält der Sohn Ki-woo die Möglichkeit, mithilfe von gefälschten Papieren zum Hauslehrer einer stinkreichen Familie zu avancieren.
Die ebenfalls in ihrem gesellschaftlichen Status gefangenen Parks haben auch zwei Kinder, wohnen aber in einer weiträumigen Designer-Villa, die von außen den Eindruck eines Bunkers erweckt. Schon bald wittert Ki-woo die Chance, auch seine Schwester als Kunstlehrerin für den Sohn der Parks einzuschleusen. Mithilfe unlauterer Mittel übernehmen auch die Eltern kurz darauf Posten in der betuchten Familie.
Die ebenso wohlhabenden wie naiven Parks ahnen natürlich nichts von den Verwandtschaftsverhältnissen unter ihren neuen Bediensteten. Der reiche Filius und sein Vater stellen lediglich hochnäsig fest, dass sie alle gleich unangenehm riechen.
Doch das ist nur das hochunterhaltsame Grundsetting. Grandios gefilmt von Bongs Stammkameramann Kyung-pyo Hong, mit bitterbösen und hochkomischen Wendungen sowie genialen Dialogen, zeigt Bong vor allem eines: Es ist das menschenverachtende System, das die Menschen voneinander trennt und zu Parasiten an den jeweils anderen macht: Die Reichen beuten die Arbeitskraft und Lebensenergie der Mittellosen aus, während die Armen, die untereinander knallhart konkurrieren, ein Leben lang verzweifelt versuchen, ein paar Krümel vom Kuchen der Reichen abzukommen. Umsturz scheint der einzige Ausweg. Die filmische Revolution Bongs macht schon einmal den Anfang.
„Parasite“ in nd von Okt. 2019