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Foto (c) 2018  Benedict Neuenfels

Was würde ich tun?

Wolfgang Fischer schickt in seinem Flüchtlingsdrama „Styx“ seine Protagonistin in ein kaum auszuhaltendes moralisches Dilemma, das sich gänzlich auf den Zuschauer überträgt. Was tun, wenn plötzlich ein sinkendes Flüchtlingsboot vor einem auftaucht und man nicht alle auf seinem eigenen Boot unterbringen kann?

Seit Jahresbeginn sind laut der UN-Organisation für Migration (IOM) mehr als 1400 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer nach Europa ertrunken. Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen den vielen Toten und der neuen Politik Italiens und Libyens, die ihre Küsten für Rettungsboote privater Hilfsorganisationen rigoros sperren. Neuerdings wird Seenotrettern sogar noch unterstellt, Schleusern zuzuarbeiten, wie es der kürzlich gelaufene Dokumentarfilm „Iuventa“ über die beeindruckende Hilfsorganisation „Jugend rettet“ aufzeigt. Da kommt das fiktionale, aber beinahe wie ein Dokumentarfilm wirkende Drama „Styx“ des Österreichers Wolfgang Fischer gerade recht, das auf der diesjährigen Berlinale so einige Preise einheimste.

„Styx“ lässt den Zuschauer in die Haut einer Hobbyseglerin schlüpfen, die sich plötzlich mit einem sinkenden Flüchtlingsboot konfrontiert sieht. Dadurch drängt sich beim Publikum unvermeidlich die beklemmende, zutiefst menschliche Frage auf: Was würde ich tun?

Dieser Frage segelt die ganz auf sich allein gestellte die Notärztin Rike (beeindruckend: Susanne Wolff) in dem dialogarmen und von Kameramann Benedict Neuenfels atemberaubend eingefangenen Film entgegen. Fast meint man, die einsame Gischt im Kinosaal auf der Haut zu spüren. Eigentlich wollte Rike eine Auszeit von ihrem anstrengenden Job nehmen, zu Beginn hat man sie bei einem Einsatz erlebt: Mit geübten Handgriffen kümmerte sie sich um die Verletzten, die das Glück hatten, in Europa geboren worden zu sein. Nun möchte die versierte Skipperin allein in ihrem kleinen Segelboot auf dem Südatlantik herumschippern. Ihr anspielungsreiches Ziel: Die von Darwin zu einem Garten Eden umgestaltete Insel Ascension.

Nach einem schweren Sturm entdeckt sie jedoch einen manövrierunfähigen Fischtrawler, überladen mit afrikanischen Flüchtlingen, die sich auf den Weg ins vermeintliche Paradies Europa gemacht haben. Ihre eigene, nur zwölf Meter lange Jacht würde sinken, wenn sie alle aufnehmen würde.

Rike, die man auch bei dem Unwetter als bewundernswert umsichtige Frau kennengelernt hat, die sich stets zu helfen weiß, funkt also die Küstenwache an, fragt in der Nähe befindliche Schiffe um Hilfe. Doch ihr Funkspruch wird ausgesessen, zudem verbietet man ihr eigenmächtig zu handeln. Schließlich weiß man aus Erfahrung, dass sich „das Problem“ irgendwann von selbst erledigt. Tanker dagegen haben erschreckenderweise von ihren Reedern die ausdrückliche und zutiefst inhumane Weisung, keine Flüchtlinge an Bord zu nehmen.

So wird das Stückchen Meer zwischen Rike und dem havarierten Boot zum mythischen Fluss „Styx“, der die Welt der Lebenden vom Reich der Toten trennt. Die an ihren Hippokratischen Eid gebundene Rike kann nur immer wieder Funksprüche absetzen und ansonsten Zeugin dieses unmenschlichen Dramas werden, das sich auf dem Meer abspielt – und vor dem auch wir immer wieder unsere Augen verschließen.

Wolfgang Fischer verzichtet taktvoll auf jedwede künstliche, dramatische Zuspitzung, erst gegen Ende hören wir sehr reduzierte musikalische Töne aus der Titelmelodie „Styx“, die Tocotronic-Sänger Dirk von Lotzow komponiert hat. Was würde ich tun? – diese Frage ist leider aktueller denn je.

„Styx“ von April 2018 in prisma