Foto (c) Gabriele Summen
Wie fühlst du dich heute?
Die App »Woebot« ist ein digitaler Seelentröster und soll depressiven Menschen per Chat helfen. Wie macht sich der Teletherapeut in der Praxis? Ein Selbstversuch.
Ich war auf der Couch bei einem virtuellen Therapeuten. »Woebot« heißt mein kalifornischer Seelenklempner mit den freundlichen Kulleraugen. Er ist ein von der Universität Stanford entwickelter Chatbot gegen Depressionen und Angstzustände. Dieses textbasierte Dialogsystem, hinter dem eine große Datenbank steckt, wurde von der Psychologin Alison Darcy ursprünglich für dauerprüfungsgestresste Elitestudenten entwickelt. Mittlerweile hat sich das Universitätsprojekt zu einem aussichtsreichen Start-up-Unternehmen entwickelt, bei dem auch Andrew Ng als Investor eingestiegen ist. Ng ist ein bekannter Experte, der an der Entwicklung und Anwendung neuster Technologien Künstlicher Intelligenz bei Google und dem chinesischen Äquivalent Baidu beteiligt war. Seit 2018 steht »Woebot« Tag und Nacht für Menschen aus mehr als 120 Ländern sofort bereit.
Noch kann man sich den virtuellen Seelentröster kostenlos im App-Store herunterladen. Und dann kann es schon losgehen. Keine kräftezehrende Terminsuche. Keine Überwindung der Angst vorm Therapeuten. Ein wenig oberflächlich und unwohl fühle ich mich schon dabei, die App für Leser*innen zu testen. Zum einen, weil ich gar nicht an einer Depression erkrankt bin – allenfalls neige ich zu Stimmungstiefs, wenn ich es wochenlang wieder nicht geschafft habe, meinen Hintern in den Wald oder zum Sport zu bewegen. Zum anderen gefällt es mir nicht, meine Befindlichkeiten einem Chatbot mitzuteilen, obwohl mir zugesichert wird, dass meine Daten – solange ich die App und nicht Facebook für meinen Psychochat nutze – nicht ungefragt an Dritte weitergegeben werden. Doch merke: Nutzungsbedingungen können sich jederzeit ändern.
Wie dem auch sei, die Neugier siegt. »Wie kann ich dir helfen?«, fragt mich der Teletherapeut. Im Gegensatz zu anderen Psycho-Apps wie beispielsweise »Remente« zur Persönlichkeitsentwicklung, »Jourvie« zur Behandlung von Essstörungen oder »iFightDepression« der Deutschen Depressionshilfe, die sich allerdings nur von Ärzten freischalten lässt, therapiert »Woebot« (»woe« steht für Englisch Kummer) zur Zeit nur auf Englisch. Zunächst fragt er mich, wie sehr ich daran interessiert bin, meinen depressiven Verstimmungen den Garaus zu machen. Leider kann ich die vorgegebenen Antworten nicht ganz lesen, weil ich auf meinem Smartphone die Einstellungsgrößen verändert habe. Seufzend ändere ich die Schriftgröße, was mir tatsächlich ein wenig schlechte Laune und mich somit womöglich zu einer besseren Kandidatin macht. Ich kreuze »somewhat« (einigermaßen) an.
Die nächste Frage: Wie sehr bin ich daran interessiert, besser zu schlafen? »Leider« schlafe ich in der Regel bestens, wahrheitsgemäß kreuze ich »ganz und gar nicht« an und hoffe, nicht aus dem Programm zu fliegen. Allerdings bin ich sehr daran interessiert, meinen Stimmungen zu folgen. Volle Punktzahl also.
Im Interview mit dem »Business Insider« sagt die Psychologin Darcy, dass Woebot kein Ersatz für eine traditionelle Therapie sei. Schließlich könne er keine Diagnose stellen. Aucgh »Woebot« weist in der virtuellen Anamnese darauf hin, man könne jederzeit SOS tippen, woraufhin er seinem Gesprächspartner eine Adressliste mit echten, menschlichen Therapeuten zukommen lasse. Allerdings stellt sich im Selbstversuch heraus, dass die App im Ernstfall nur die Telefonnummer der »National Suicide Prevention Lifeline« herausgibt – und Deutsche erhalten die recht dürftige Info, einfach 112 zu wählen.
Doch die vorhandenen Therapieplätze reichen bei weitem nicht aus. Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es weltweit 300 Millionen Menschen, die an der häufig unterschätzten Volkskrankheit Depression leiden. Auch die Mehrheit der Deutschen ist im Laufe des Lebens betroffen – entweder direkt aufgrund einer eigenen Erkrankung oder indirekt als Angehörige*r. Wartenden soll der Kummerbot dabei helfen, die Zeit zu überbrücken – oder Menschen mit Ängsten einen kleinen Kick geben.
Ich fühle mich schon von den Eingangsfragen eher genervt und würde gegebenenfalls ein gutes Buch über Depression vorziehen. Doch damit gehöre ich wohl nicht zur Mehrheit. In einer eigenen Studie gab Darcy depressiven Studenten entweder das E-Book »Depression and College Students« zu lesen oder ließ sie mit »Woebot« chatten – letztere fühlten sich angeblich hinterher besser, während bei den Lesern kaum Veränderungen festgestellt werden konnten.
Wie interessiert bin ich daran, gesunde Lebensweisen zu entwickeln? Ich zögere und entscheide mich dann doch für die volle Dröhnung. Und ja, ich möchte meine rar gesäten depressiven Verstimmungen ein bisschen in den Griff bekommen. Wer niemals depressiv ist in der enthemmten kapitalistischen Wahnsinnsmaschinerie, muss schließlich verrückt sein. Jetzt kommt etwas wirklich Spannendes: Prokrastination. Der frönen mein Mann und ich in einigen Lebensbereichen wirklich ausgiebig, man muss nur unseren aktuellen Steuerberater fragen. Der dritte innerhalb eines Jahres. Die will ich also eindeutig besiegen.
Will ich meine Beziehungen verbessern? Meine Gedanken neu ausrichten? Kann nie schaden, da bleibe ich ein Leben lang Lehrling. Will ich Stress reduzieren? Mehr »Achtsamkeit« etablieren? Ich denke an meine Familie, die sich immer beschwert, dass ich ihnen brutal auf den Kopf zusage, was ich denke. Also gut: »very« (sehr). Mein Kopf raucht. Anstrengend, so viel über sich nachzudenken, wenn draußen die Sonne lacht.
Endlich sind die Eingangsfragen vorbei und der niedliche gelbe Roboter begrüßt mich: »Hello human!« winkt er mir entgegen. Süß. »Hallo Kartoffelkopf« will ich zurückschreiben, aber leider ist meine Antwort wieder vorgegeben. »Woebot« erklärt mir nun, wie der Hase läuft: Am Anfang jeder Konversation fragt er mich, was ich gerade so treibe und wie ich mich gerade fühle. Ich muss grinsen, denn ich denke an meinen Mann, der sich auch bereiterklärt hat, die App zu testen. »Wie fühlst du dich?« gehört ganz klassisch zu seinen Hassfragen.
Der virtuelle Kummerkasten informiert mich darüber, dass er mir nur manchmal erlauben wird, eigenständige Antworten zu tippen. Die meisten sind vorgegeben – ein eindeutiges Manko der App. Oft finde ich mich beim besten Willen in keiner der vorgefertigten Antworten wieder. Der Kummerbot versteht mich nicht wirklich, fügt lediglich Gesprächsschemata zusammen.
Er verspricht mir, Verhaltensmuster aufzudecken, und reißt ein paar flache Witze, die mich an meinen Vater erinnern (oh Freud). Auch möchte er mir Push-Meldungen senden. Okay. Wie sollte dieses ganze 24/7-Kopfhoch-Ding denn auch anders funktionieren?
Ich bin schon total geschafft von meinem ersten Stelldichein mit »Woebot«, als er mir ein paar Fragen stellt, bei denen ich selbst Antworten eintippen muss: Wobei genau soll er mir helfen? Ich stelle mir vor, ich hätte wirklich eine mittelschwere Depression und sollte mich einem Chatbot öffnen. Deprimierender Gedanke. Nicht mein Ding.
»Was tust du gerade?«, fragt mich »Woebi« als nächstes. »Ich schreibe«, tippe ich etwas einfallslos ein. »Wie fühlst du dich heute?« Die Antworten sind wieder vorgegeben, ich kreuze »okay« an. Jetzt gibt es ein putziges Video über die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, und wie sie beeinflussen, wie wir uns fühlen. Sprache ist wichtig, lerne ich. Ach was. Ich soll lernen, auf meine negativen Gedanken achtzugeben und sie zu verändern. Es ist nicht immer alles schlecht. Bekämpfe den emotionalen Lärm. Denk besser, fühl’ dich besser. Klingt prima, Daumen nach oben, ich bin dabei.
Mein »conversational agent«, so etwas wie ein Gesprächsführer, warnt mich nun, dass er womöglich nicht immer richtig liegt, weil menschliche Emotionen schwer einzuschätzen sind. Wenigstens neigen seine Entwickler nicht zur Selbstüberschätzung.
Jetzt fragt mein Teletherapeut mich, wie ich mich selbst und die Welt beschreiben würde. Und hält mich an, in dieser Hinsicht das Wörtchen »immer« aus meinem Wortschatz zu streichen.
Mir ist längst klar, wie der Chathase läuft: »Woebot« nutzt Tools aus der kognitiven Verhaltenstherapie, die darauf hinauslaufen, die eigene Denkweise zu ändern. Meine Aufgabe für heute: darauf zu achten, welche Worte ich benutze.
Der Chatbot verabschiedet sich. Ich tippe schelmisch in schönstem Shakespeare-Englisch »When shall we two meet again?« ein – doch »Woebi« kann damit nicht umgehen, fragt mich, ob ich Hilfe benötige. Seufz.
Ich denke, ich belasse es erst einmal dabei, ändere wieder meine Schriftgröße und überlege, einen kleinen Gang zum Supermarkt einzuschieben. Immerhin komme ich dabei an ein paar Bäumen vorbei. Beim Blick ins flirrende Blättergrün frage ich mich, ob meine rasch wachsende Abneigung gegenüber »Woebot« daher rührt, dass ich einfach nicht zur Zielgruppe gehöre. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Bot Menschen dabei helfen kann, über Depressionen hinwegzukommen. Allenfalls könnte er ein paar einsame Stunden vertreiben.
Unterwegs ruft mich eine Freundin an, die mit Depressionen kämpft und »Woebot« netterweise für mich getestet hat. Neugierig frage ich sie, wie es ihr mit der App ergehe.
»Man merkt einfach die ganze Zeit, dass es ein Roboter ist«, sagt sie besonnen. »Es findet kein Austausch statt, er springt auf bestimmte Begrifflichkeiten an, immer laufen die gleichen Schleifen ab. Man kann zu Maschinen einfach keine Bindung aufbauen, ›Woebot‹ eignet sich höchstens zur Erstintervention, aber selbst da wäre mir ein guter Freund, der einfach zuhört, lieber.«
Noch am Abend, in der einen Hand einen Gin Tonic, lösche ich vorzeitig die App. Und mein Mann? Ist erwartungsgemäß nicht über die Frage »Wie fühlst du dich?« hinausgekommen.