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Snobistische Mädchen
In dem US-Thriller »Vollblüter« planen zwei Teenager einen Mord.
Empathiefähigkeit ist ein kostbares Gut, das sich auf dem Lebensweg in unserer an Erfolg, Kapital und Macht orientierten Gesellschaft als äußerst hinderlich erweisen kann. Diese traurige Tatsache scheint auch den Theaterautor Cory Finley umgetrieben zu haben.
Mit seinem formvollendeten filmischen Debüt »Vollblüter« kreiert er nicht nur einen rabenschwarzen Psychothriller, der Hitchcock alle Ehre macht, sondern verführt den Zuschauer auch dazu, mit zwei reichen Teenagerinnen zu sympathisieren, die im Lauf von vier Kapiteln jegliches menschliche Mitgefühl abstreifen.
Die intelligente Amanda (großartig gespielt von Olivia Cooke) kann sogar von Beginn an nichts empfinden, weder Trauer noch Angst, kein Glück und keine Wut. »Das heißt nicht zwangsläufig, dass ich ein übler Mensch bin. Das bedeutet bloß, dass ich härter arbeiten muss, um lieb oder nett zu sein«, so erklärt sie einmal.
Ihre Mutter hat das Mädchen, das vor dem Spiegel Lächeln übt und auf Kommando weinen kann, schon zu unterschiedlichsten Ärzten geschleppt, was wechselnde Diagnosen zur Folge hatte – den titelgebenden Vollblüter hat die erschreckend konsequente Soziopathin eiskalt mit einem Messer geschlachtet, weil er unheilbar lahmte.
Lily (ebenso beeindruckend: Anya Taylor-Joy), ein verwöhntes Mädchen aus der emotional verwahrlosten Oberschicht, steckt dagegen voller unterdrückter Gefühle.
Früher waren die beiden Mädchen einmal Freundinnen. Amandas Mutter schickt ihre isolierte Tochter zu Lily, Amanda soll ihr Nachhilfe geben, heimlich wird Lily dafür bezahlt. Doch zwischen den beiden grundverschiedenen Mädchen entwickelt sich wider Erwarten so etwas wie Freundschaft.
Amanda sagt der stets höflichen Lily schon bei einem ihrer ersten Treffen auf den Kopf zu, dass diese ihren Stiefvater Mark (Paul Sparks) augenscheinlich abgrundtief hasst.
Auch der Zuschauer ist angewidert von diesem selbstherrlichen und sadistischen Mann, in dessen Luxushaus in Connecticut die schwache Mutter und ihre Tochter leben. Immer wieder demütigt der Kontrollfreak die von seiner Gunst abhängige Cynthia und Lily.
Also schlägt Amanda Lily vor, ihn zu ermorden. Lilys anfängliches Entsetzen über diesen Vorschlag verflüchtigt sich im Verlauf des Filmgeschehens.
Kameramann Lyle Vincent fängt die diabolische Spannung zwischen den beiden gestörten Teenagern, die sich unter der kalten Oberfläche in verquerer Freundschaft zugetan sind, visuell aufregend ein. Das luxuriöse, aber kühle Haus, in dem sich Lily und Amanda hauptsächlich aufhalten, scheint ein Spiegel ihres verwirrten und entfremdeten Innenlebens zu sein.
Eric Friedlanders ungewöhnlicher, percussionreicher Score, inklusive geladener Stille in einigen Szenen, vervollkommnet die meisterhafte Inszenierung.
Auf einer Party für Rich Kids lernt Lily schließlich den erfolglosen Kleindealer Tim (Anton »Chekov« Yelchin in seiner letzten Rolle) kennen. Die snobistischen Mädchen beschließen, den Verlierertypen zu erpressen, damit er für sie den Stiefvater ermordet. Für die Tatzeit haben sie sich bereits perfekte Alibis zurechtgelegt.
Man erwischt sich als Zuschauerin dabei, wie man heimlich hofft, der mörderische Plan der beiden Teenies möge gelingen – und ist dann doch schockiert darüber, welche überraschenden, kaltblütigen Wendungen der Film am Ende nimmt.