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Die Kunst der freien Meinungsäußerung
Ein zynisch-rassistischer Professor bringt einer schlagfertigen Studentin mit Migrationshintergrund die Kunst der Rede bei.
„Immer Recht haben – scheiß auf die Wahrheit“, trichtert der provokante Juraprofessor seiner Schülerin in der Dramödie „Die brillante Mademoiselle Neïla“ ein. Die moderne Pygmalion-Geschichte von Yvan Attal hat zwei Grundzutaten, die einen Publikumserfolg in Frankreich stets in greifbare Nähe rücken: einen fiesen, alten Mann, und eine hübsche junge Frau, die sich einander annähern. Man denke an Filme wie „Frühstück bei Monsieur Henri“, „Monsieur Pierre geht online“ oder „Gemeinsam wohnt man besser“. Dazu leistet sich Attals Film aber auch noch eine gehörige Portion rassistischer Äußerungen, wie es beim Kassenhit „Monsieur Claude und seine Töchter“ der Fall war – denn bei der jungen Frau handelt es sich um eine Französin mit maghrebinischen Wurzeln und bei „Monsieur“ um einen stets auf Provokation gebürsteten, weißen Mann.
Die ehrgeizige Algerierin Neïla Salah (Camélia Jordana) hat den ersten Schritt aus ihrem Pariser Vorort Creteil geschafft: Sie ist an der renommierten Pariser Assas Law School aufgenommen worden. Bereits am ersten Tag kommt sie zu spät zur Vorlesung von Professor Pierre Mazard (Daniel Auteuil), der für seine rassistischen Ausbrüche berüchtigt ist. Natürlich lässt der Rhetorik-Spezialist es sich nicht nehmen, auch Neïla vor versammeltem Auditorium runterzuputzen. Doch dieses Mal hat er den Bogen überspannt, seine Äußerungen gehen viral, und der Dekan sieht sich gezwungen, einen Disziplinarausschuss einzuberufen. Seinem geschätzten Mitarbeiter lässt er aber noch eine Hintertür offen: Mazard soll Neïla auf den diesjährigen Rhetorikwettbewerb vorbereiten, den die Universität seit Jahren nicht gewonnen hat – um so den Ausschuss milde zu stimmen.
Also bringt Mazard Neïla zähneknirschend die Kunst der Rede bei: Er quält sie mit Schopenhauer, lässt sie mit einem Stift im Mund Nietzsche zitieren, im Altenheim lernen, mit jedem Gesprächspartner klarzukommen, und in der Metro lautstark Reden römischer Senatoren rezitieren. Diese dialoglastigen Szenen sind von Kameramann Rémy Chevrin einfallsreich im Cinemascope-Format aufgenommen, sodass keine Langeweile aufkommt. Allmählich entpuppt sich der bigotte Monsieur Mazard – wie zu erwarten – also als ein ganz guter Pädagoge, der seine Schülerin langsam zu schätzen weiß. Die schlagfertige Studentin gewinnt erwartbar eine Turnierrunde nach der nächsten, wobei ihr das durchweg männliche Drehbuchteam ruhig ein bisschen mehr Redezeit hätte einräumen können. Ihr längstes, recht emotionales Plädoyer hält sie am Ende natürlich für ihren Lehrer – obwohl sie dahinter gekommen ist, warum er sich ihrer angenommen hat.
Während Neïla mit einer Backgroundstory ausgestattet ist – sie hat einen lebensklugen, arabischen Freund, eine hart arbeitende Mutter und eine Oma, die sie unterstützen, erfährt man von dem einsamen Professor so gut wie gar nichts. Diese Entscheidung und Mazards nur minimale Wandlung hinterlässt ein ungutes Gefühl bei einem Film, der zwar womöglich ein im leichten Gewand daherkommendes Plädoyer für Bildung und differenzierte Meinungsbildung sein will, andererseits aber auch diesen gefährlichen Trend zu „Man wird doch wohl mal sagen dürfen“-Äußerungen unterfüttert.
Die Geschichte funktioniert nur deshalb einigermaßen erträglich, weil der Film mit Daniel Auteuil und der überraschend überzeugend aufspielenden Sängerin Camélia Jordana perfekt besetzt ist. Ihre Performance brachte ihr bei der diesjährigen Verleihung des französischen Filmpreises César die Trophäe für die beste Nachwuchsschauspielerin ein. Ein mulmiges Gefühl ob der rassistischen Oneliner, die im Dienste leichter Unterhaltung kredenzt werden, bleibt dennoch.
Stimme / Juni 2018