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Schauspielerischer Balanceakt
Die Briten haben mittlerweile das lukrative Seniorenkino für sich entdeckt. Filme wie „Best Exotic Marigold Hotel“, „Quartett“ und „Le Weekend“ ließen bereits die Kinokassen kräftig klingeln. Nun kommt mit „Tanz ins Leben“ eine weitere humorvolle, englische Dramödie ins Kino, in der allerdings – anders als der deutsche Titel erwarten lässt – relativ wenig getanzt wird. Vor allem besticht der Film von Richard Loncraine („Richard III“) durch starke Darsteller, allen voran Imelda Staunton (Professor Umbridge aus den „Harry Potter“-Verfilmungen) und Celia Imrie („Kalender Girls“). Aber auch Timothy Spall („Mr. Turner“) beweist ein weiteres Mal, dass den an Shakespeare geschulten britischen Schauspielern so schnell niemand das Wasser reichen kann.
Lady Sandra Abbott (Staunton) ist eigentlich zufrieden mit ihrem Leben, sie genießt Luxus und ihren gesellschaftlichen Status. Doch ausgerechnet an dem Tag, als sie mit ihrem Mike (John Sessions) eine große Party anlässlich seines bevorstehenden Ruhestands feiert, erwischt sie ihn in flagranti mit ihrer besten Freundin Pamela (Josie Lawrence) im Weinkeller. Offenbar hat er schon seit Jahren ein Verhältnis mit ihr.
Hals über Kopf flüchtet Sandra zu ihrer Schwester Bif (Imrie), zu der sie schon seit Ewigkeiten keinen richtigen Kontakt mehr hatte. Wen wundert es, ist Bif doch das komplette Gegenteil ihrer spießigen Schwester, lebt in einem chaotisch-gemütlichen Appartement im Norden Londons, ist unverheiratet, kleidet sich schrill, zieht auch gerne mal an einem Joint und ist sexuell noch höchst aktiv.
Diese gegensätzliche Paarung, die an das ähnlich geartete „Fish out of water“-Setting in „Blue Jasmine“ denken lässt, ist eine Steilvorlage für die gestandenen Schauspielerinnen, aus der sie eine Menge rührend-komischer Momente kreieren. So fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass das Dramödienskript von Nick Moorcroft und Meg Leonard nicht immer so ausgewogen, glaubwürdig und überraschend ist, wie man es sich wünschen würde. Liebenswertes Senioren-Popcornkino bekommt man dennoch geboten.
Bif nimmt ihre vor Selbstmitleid zerfließende Schwester warmherzig bei sich auf und versucht sie ein wenig abzulenken, indem sie Sandra nicht nur zum Schwimmen bei Wind und Wetter im nahegelegenen Kanal, sondern auch zu einer Senioren-Tanztruppe mitschleppt, mit der sie regelmäßig trainiert. Schließlich hat Sandra als Kind und junges Mädchen einst große Freude am Tanzen gehabt.
Dort lernt Sandra auch Bifs charmanten, besten Kumpel Charly (verlässlich großartig: Timothy Spall) kennen, mit dem sie sich immer besser versteht, je mehr sie sich von ihrem spießigen Korsett befreit und von ihrem hohen Ross herunterkommt. Das ist fast ebenso rührend anzusehen wie die Annäherung der beiden ungleichen Schwestern, die sich mehr und mehr an gemeinsam verbrachte glückliche Zeiten erinnern.
Gegen Ende jedoch wird es ein wenig zu rührend: Beinahe kippt die bittersüße Dramödie in eine sentimentale Schmonzette, was die großartigen Darsteller aber glücklicherweise zu verhindern wissen. Durch sie findet der Film immer wieder seine Balance – wie ein Tänzer, der sich geschickt auf rutschigem Parkett bewegt.
Mittelbayerische / Mai 2018