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Foto (c) 2017 Fabrizio Maltese / Alamode Film

Herz aus Bonbon

Du brauchst Liebe, wie eine Blume Wasser“, sagt der schnauzbärtige Liebhaber in einer Badewannen-Szene zu seiner Geliebten – und der Zuschauer schmilzt dahin wie bei einem alten Hollywoodfilm. Dies hat er der charmanten Inszenierung von Autor und Regisseur Bavo Defurne zu verdanken, der in seiner Dramödie „Ein Chanson für Dich“ die optimistisch stimmende Liebesgeschichte zwischen Jean und Liliane erzählt. Wunderbar, dass dabei kaum eine Rolle spielt, dass Jean erst 22 und Liliane so um die 60 ist. Stattdessen erzählt der belgische Regisseur vom zweiten Frühling einer ehemaligen Fast-Grand-Prix-Gewinnerin, die nun in einer unglamourösen Pastetenfabrik arbeitet.

Um seine Geschichte glaubwürdig in Szene zu setzen, hätte Bavo Defurne sich keine bessere Schauspielerin für die Rolle der reifen Frau wünschen können als die Ausnahmeschauspielerin Isabelle Huppert, die kürzlich noch für ihre Part als Vergewaltigungsopfer in Paul Verhoevens „Elle“ für den Oscar nominiert war und nebenbei noch den Golden Globe und den César abräumte. Mit ihrer zerbrechlich und zugleich unglaublich stark wirkenden Art verkörpert Huppert die gealterte Showdiva, die – statt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen – nun mit undurchdringlicher Miene am Fließband in einer Fabrik Fleischpasteten mit je zwei Lorbeerblättern und ein paar Beeren verziert.

Einst hätte die Sängerin unter dem Pseudonym Laura beinahe den Grand Prix gewonnen, wurde jedoch von einer schwedische Newcomerband namens ABBA auf den zweiten Platz verwiesen. Darauf folgte ziemlich schnell der Absturz: Ihr reicher Ehemann, Manager und Komponist Tony Jones (Johan Leysen) tauschte sie gegen eine jüngere aus, mit der Karriere ging es auch rasch bergab. Defurne lässt den Zuschauer miterleben, wie grausam und taktlos sich Menschen gegenüber einer einst von den Medien hochgeputschten Person verhalten. Doch die desillusionierte Frau ist nicht der Typ, der in Selbstmitleid zerfließt. Obwohl sie ihre Abende meist vor dem Fernseher mit einem Drink verbringt, hat sie dennoch ihre Klasse nicht verloren.

Ihr Auftreten zieht auch den jungen Boxer Jean in seinen Bann, der ebenbürtig großartig von Kévin Azaïs verkörpert wird. Sofort erkennt der Jungspund in Liliane den einstigen Star Laura wieder, schließlich war sein Vater einer ihrer größten Bewunderer. Seine Mutter steht deshalb mit der Dame, noch bevor sie sie überhaupt persönlich kennenlernt, auf Kriegsfuß. Dies führt zu einigen witzigen Szenen im Film, wie sie so womöglich nur die Franzosen inszenieren können: Subtiles Drama und leise Komödie gehen bei diesem Film durchweg Hand in Hand. Bombastisch-überzogene Musik inklusive.

In amüsanten Szenen, die an alte Hollywoodfilme erinnern, inszenieren Bavo Defurne und sein einfallsreicher Kameramann Philippe Guilbert, wie Liliane allmählich auftaut und getragen von Jeans rückhaltloser Bewunderung sogar die Rückkehr auf die Bühne wagt. „Herz aus Bonbon, Arme aus Beton“ heißt es in dem Lied, mit dem Liliane/Laura den Grand Prix, Pardon, Eurovision Song Contest gewinnen will. Songzeilen, die wie die Faust aufs Auge ihren betörenden jungen Boxer charakterisieren. Darüber hinaus entspricht dieser humorvolle Liedtext aber auch der Seele der Dramödie, deren Plädoyer für Freundlichkeit, Leidenschaft, Offenheit, Mut und Optimismus den Zuschauer trotz kleiner Längen voll ins Bonbonherz trifft.

Mittelbayerische / Juli 2017