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Foto (c): © 2016 Tesuco Holdings Ltd / Tobis

Bitterer Nachgeschmack

Oren Moverman verlegt den holländischen Bestseller „Angerichtet“ von Herman Koch, in dem es um den schockierenden Werteverlust der dortigen Oberschicht geht, recht gekonnt in das nordamerikanische Upper Class Milieu.

„Du siehst gut aus“, sagt die liebende Gattin in Oren Movermans Psychodrama „The Dinner“ kurz vor dem Ausgehen zu ihrem Ehemann Paul, dem zunächst so sympathischen, kulturpessimistischen Linksintellektuellen. „Nicht so gut wie mein Bruder“, erwidert dieser, „aber der verbringt ja auch den ganzen Tag in der Maske.“ Der Zuschauer kann sich ein hämisches Lachen kaum verkneifen, da er anfänglich genauso empfindet – wird Pauls Bruder doch als unerträglich selbstverliebter Kongressabgeordneter eingeführt, der für das Amt des Gouverneur kandidiert. Doch schon bald wird man seine Meinung geändert haben, denn der Politbonze ist tatsächlich der Einzige in der noblen Dinnerrunde, der zumindest einmal vorschlägt, ihre verzogenen Söhne nicht mit einem kaltblütigen Mord an einer Obdachlosen durchkommen zu lassen!

Mit viel schwarzem Humor, einem fantastischen Ensemble, Flashbacks und irritierenden Soundcollagen zeichnet Oren Moverman in seinem diesjährigen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag ein überaus düsteres Sittenbild vom heutigen Amerika. Das jedoch ließe sich auch problemlos auf die Niederlande übertragen, in dem der zugrundeliegende Roman „Angerichtet“ von Herman Koch spielt. Oder auf Deutschland, wo erst kürzlich Jugendliche verurteilt worden, die zur Weihnachtszeit einen schlafenden Obdachlosen angezündet hatten.

Die kleinen Monster im Film, die das Verbrennen der Obdachlosen auch noch völlig empathielos mit dem Handy gefilmt haben, sind Michael, der Sohn der fürsorglichen Claire (Laura Linney) und des zart besaiteten Paul (grandios: Steve Coogan), sowie dessen Cousin Rick, der Spross des schwer beschäftigen Kongressabgeordneten Stan Lohman (Richard Gere). Um den Jungen kümmert sich für gewöhnlich Stans zweite, klischeegetreu viel jüngere Ehefrau Katelyn (Rebecca Hall). Die ambitionierten Eltern der verrohten Rich Kids treffen sich in einem Edelrestaurant, die Stadien ihres Zusammentreffens unterteilt der israelische Autorenfilmer Moverman wie in der literarischen Vorlage zynisch in Aperitif, Vorspeise, Hauptgang, Käseplatte, Dessert und Digestif.

Wenn auch etwas überinszeniert, erinnert das von spitzen Wortpfeilen geprägte Zusammentreffen der amoralischen Runde stark an das kammerspielartige, geniale Drama „Der Gott des Gemetzels“ von Roman Polanski. Während die Kellner akkurat die erlesensten Speisen servieren, fallen am Tisch nach und nach die Masken, erhascht der Zuschauer einen ungeschönten Blick auf diese Erwachsenen, die bis auf Stan alles tun würden, um ihre Kinder zu schützen. So entpuppt sich der wortgewandte Zyniker Paul zunehmend als manisch-depressiver, arbeitsloser Lehrer, der für seine Frau und seinen Sohn tatsächlich sogar über Leichen gehen würde. Seinem Bruder hat das Jammerbild von einem Mann nie verziehen, dass er stets der Liebling der Mutter war.

Im Laufe des Abends präsentiert sich zudem Pauls Ehefrau Claire mehr und mehr als Horrorexemplar einer Helikoptermutter, und auch Stans junge Vorzeigegattin zeigt ihre Zähne: Sie setzt ihren Mann unter Druck, als der von den anderen Elternteilen verlangt, das schreckliche Hassverbrechen der Söhne nicht ungesühnt zu lassen. Dass auch er, der letzte Hoffnungsträger des Publikums, immer wieder zu wanken beginnt, verleiht dem aufrüttelnden Film einen bitteren Nachgeschmack, den die Zuschauer noch lange auf der Zunge haben werden.

Stimme / Mai 2017