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Foto: (c) capelight pictures

Verstand verloren

Farren Blackburns zweite Regiearbeit „Shut In“ ist mit Naomi Watts, Jacob Tremblay und Charlie Heaton herausragend besetzt. Watts verkörperte in etlichen Filmen, „Mulholland Drive“ etwa, hochinteressante Figuren. Auch der erst zehnjährige Tremblay begeisterte im ocarprämierten Drama „Raum“ 2015 ein breites Publikum. Heaton wiederum überzeugte dieses Jahr als Bruder eines Entführungsopfers in der Netflix-Mysteryserie „Stranger Things“. Dieser spielfreudige Cast weckt natürlich große Hoffnungen; zumal das zugrundeliegende Skript von Christina Hodson seit 2012 auf der berühmten Black List der noch nicht verfilmten, doch vielversprechenden Drehbücher Hollywoods stand. Hohe Erwartungen also, die der Mysterythriller des britischen Regisseurs am Ende leider kaum einlösen kann.

Die Prämisse weiß zunächst zu überzeugen: Stiefmutter Mary (Naomi Watts) und ihr Ehemann haben sich dazu durchgerungen, den renitenten 17-jährigen Sohn Stephen (Charlie Heaton) in ein Internat zu schicken. Auf dem Weg dorthin erleiden Vater und Sohn jedoch aufgrund eines heftigen Streits im Auto einen schrecklichen Unfall. Nur Stephen überlebt, er ist fortan gelähmt, kann nicht mehr sprechen und selbst essen.

Mary, die als Kinderpsychologin in einem hübsch horrormäßig abgelegenen Haus im Wald praktiziert, übernimmt die Pflege des katatonischen Stiefsohns. Doch eigentlich ist sie damit überfordert, träumt sogar davon, ihn einfach in der Badewanne zu ertränken – oder vielleicht doch in ein professionelles Heim in Pflege zu geben. Ein wenig Halt findet die depressive Psychologin in ihrer Arbeit – besonders der hörgeschädigte Waisenjunge Tom (Jacob Tremblay) hat es ihr angetan. Als dieser in ein weit entferntes Heim umziehen soll, denkt Mary sogar darüber nach, ihn bei sich aufzunehmen.

 Von nun an allerdings verliert sich der Horrorthriller in einem recht wirren und nicht besonders schaurigen Plot. Lange ist ein unverhofft auftauchender Waschbär das Erschreckendste, was im Haus der abgeschottet lebenden Kinderpsychologin passiert. Als Drama würde die Geschichte womöglich noch funktionieren – so taucht beispielsweise bald ein hartnäckiger Verehrer auf, den sich die traumatisierte Mary jedoch lange vom Leib hält. Die Figuren sind dafür aber leider viel zu eindimensional angelegt; selbst der nette alleinerziehende Vater scheint nur die Funktion zu erfüllen, gegen Ende den Bodycount zu erhöhen. Überaus schade, spürt man doch in jeder halbwegs glaubwürdigen Szene, welch schauspielerisches Potenzial Watts, Tremblay und Heaton in sich bergen.

Als Mysterythriller geht „Shut In“ ebenso wenig durch. Als der verschlossene Tom plötzlich auftaucht, ist er auch schon bald wieder spurlos verschwunden. Die Polizei vermutet, dass er irgendwo jämmerlich erfroren ist. Die Schuldgefühle Marys potenzieren sich. Im Haus geschehen auf einmal merkwürdige Dinge. Ist etwa der Geist Toms zurückgekehrt? Ihr Kollege Dr. Wilson (Oliver Platt), der sie per Skype therapiert, versucht, Mary auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, diagnostiziert aus der Ferne Halluzinationen aufgrund von Schlafstörungen.

Doch dann zieht ein furchterregender Schneesturm auf, dessen Verlauf zumindest noch einmal zu einem unvorhersehbareren, absurden Plot-Twist führt. An Glaubwürdigkeit gewinnt der Film dadurch jedoch nicht. Vielmehr geht sie am Ende vollends verloren.

Mittelbayerische / Dez. 2016