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Japanischer Pfeffer, eine Glasharmonika und ein Roger
Das ein wenig behäbige Drama „Mr. Holmes“ weiß durch seine beiden unwiderstehlichen Hauptdarsteller zu faszinieren.
Einer der schönsten Momente bei der diesjährigen Berlinale ereignete sich bei der Pressekonferenz zu Bill Condons „Mr. Holmes“. Als der heute 13-jährige Milo Parker gefragt wurde, wie es für ihn war mit Sir Ian McKellen zu drehen, antwortete der hinreißende Jungschauspieler, während er kokett und ehrfurchtsvoll zugleich zu seinem Spielpartner schaute: „Er ist ein sehr netter Mann und ein wundervoller Schauspieler. Ich meine, er ist Gandalf!“ Entzücktes Gelächter honorierte die sympathische Art des Jungen und die großartige Schauspielleistung, die er gemeinsam mit dem 76-jährigen Altmeister ablieferte.
Parker spielt Roger, einen Halbwaisen und Sohn von Sherlock Holmes‘ Haushälterin Mrs. Munro (Laura Linney). Der 93-jährige Ex-Detektiv hat sich vor 30 Jahren auf seinen von Kameramann Tobias Schliessler in malerischen Sehnsuchtsbildern eingefangenen Landsitz in Sussex zurückgezogen, wo er Bienen züchtet.
Rogers verstorbener Vater hat seinem Sohn zum Einschlafen immer eine spontane Geschichte erzählt. Der Junge durfte stets drei Dinge nennen, die darin vorkommen sollten. Der dritte Begriff war immer „ein Roger“. So ähnlich verhält es sich mit der Plotstruktur von Condons „Mr. Holmes“, die der gleichnamigen literarischen Vorlage von Mitch Cullin folgt. Drei Erzählebenen hat der Film, die am Ende zu einer stimmigen Geschichte zusammenführen. Darin lernt der logikbesessene Meisterdetektiv eine späte Lektion über Demut, Menschlichkeit, Gefühle und die Kraft der Fiktion.
Der erste und schwächste Handlungsstrang hängt mit Holmes fortschreitender Demenz zusammen. Er reist nach Japan, um sich dort mit einem Mann zu treffen, der ihm in Hiroshima japanischen Pfeffer besorgen kann, dem Wunderkräfte bei der Bekämpfung von Demenz nachgesagt werden. Doch sein vermeintlicher Heilsbringer hat noch ganz andere Motive ihn nach Japan zu locken, die Holmes natürlich messerscharf ermittelt.
Der zweite Handlungsstrang beschäftigt sich mit Holmes‘ letztem Fall, dem Grund, warum er seinen Beruf aufgab. Erst vor kurzem hat Holmes Dr. Watsons Roman darüber gelesen, doch er weiß genau, dass bei der Niederschrift nicht nur die Darstellung seiner Person – mit Deerstalker-Mütze und der legendären Pfeife – verfälscht und ausgeschmückt wurde. Nein, die Auflösung des Falls ist auch verfälscht worden und Holmes wäre nicht Holmes, wenn er vor seinem Ableben nicht noch eine Richtigstellung der Fakten zu Papier bringen wollte. Nur kommt ihm dabei sein verlöschendes Erinnerungsvermögen in die Quere.
Mühselig versucht er den Fall um eine nach dem Verlust ihrer ungeborenen Kinder schwermütig gewordenen Mutter (Hattie Moharan) zu rekonstruieren. Die hochsensible Frau flüchtete sich für eine Weile in das Spiel der Glasharmonika, der man nachsagt, sie könne Tote herbeirufen.
Der dritte Handlungsstrang spielt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und ist die stärkste Erzählebene. Hier brillieren ein aufstrebender Jungschauspieler und ein spät entdeckter Filmschauspieler in Paraderollen. An Sir Ian McKellen als nach außen hin selbstzufriedenen, im tiefsten Innern aber verunsicherten Meisterlogiker mit wunderbar britisch-trockenem Humor kann man sich einfach nicht sattsehen. Genauso ergeht es dem Zuschauer mit Milo Parker, der sich von McKellen einfach nicht an die Wand spielen lässt.
Der misanthrope Holmes entdeckt in Roger immer mehr seinen jugendlichen Widerpart. Das brennende Interesse des pfiffigen Jungen an dem korrigierten Manuskript seines letzten Falls hilft dem Gedächtnis des alten Mannes mehr auf die Sprünge als der japanische Pfeffer. Doch erst als der arrogante Holmes um das Leben des Jungen bangen muss, geht ihm ein Licht auf, welchem schrecklichen Irrtum er in seinem Leben und in seinem letzten Fall erlag.
Letztlich siegt in diesem Drama die Gnade der Fiktion über kalte Rationalität. Somit ist der Film, der einen beinahe glauben macht, Sherlock Holmes hätte wirklich existiert, auch eine wundervolle Hommage an das Kino.
Stimme / Dez. 2015